Wir können kein Porno – oder: viereinhalb Minuten

Es würde ihr erster Sex seit der Trennung von Julius werden. Der letzte in einer ganzen Reihe von One-night-stands war gut und gerne zwanzig Jahre her, damals während des Studiums in Münster. Im Nachhinein fand sie es selbst ein bisschen anrüchig, all die verschiedenen Männer, aber es haben ja fast alle so gehalten damals, da war gar nichts dabei. Man hat sich einen Kerl mit nach Hause genommen, hat ein paar Male mit ihm geschlafen und das war’s, es gab ja die Pille. Aber jetzt war sie doch ein bisschen unsicher. Sollte sie ihm einfach die Hose aufmachen und den Schwanz rausholen? Hoffentlich hatte er bereits einen Steifen. Sie glaubte zwar, da gerade schon etwas verdächtig Hartes gespürt zu haben, aber ganz sicher war sie nicht – es wäre nicht das erste Mal, dass sie sich täuschte und nichts ist peinlicher, als eine durchgeweichte Laugenstange aus der Hose eines völlig Fremden herauszufischen.

Vorsichtshalber erstmal noch ein bisschen knutschen, ihn ein bisschen fummeln lassen und dann eben schauen, was er zu bieten hat. Sie warf einen letzten Kontrollblick in den Badezimmerspiegel, öffnete einen weiteren Knopf ihrer Bluse, straffte sich und ging zurück ins Zimmer. Er hatte sich, so gut es ging, in einen der beiden unbequemen Hotelsessel geflegelt, stellte, als sie eintrat, seinen Vodka-Orangensaft zügig auf dem Tisch ab und starrte sie lüstern aus dunkelbraunen Augen an. Sie stand ja eigentlich nicht auf Männer mit Vollbart, aber der hier war eine Ausnahme, sein gepflegter, ebenfalls dunkelbrauner Bart passte perfekt zu seinen Augen, machte sie noch geheimnisvoller.

Er legte ihr beim Küssen eine Hand auf den Hinterkopf, was sie so liebte, seit ihr erster fester Freund, in der siebten Klasse, das einmal getan hatte. Ihre Zungen führten ihr Spiel fort, umtanzten und neckten sich, während seine Hände gierig auf Wanderschaft gingen, Wellen der Lust durch ihren Körper schickend. Stöhnend überließ sie sich ganz seinen Berührungen, die jedoch eine wichtige Stelle vernachlässigten. Sie griff nach seinen Händen und legte sie dorthin, wo sie sie haben wollte.

„Kümere dich mal lieber um die hier“, flüsterte sie fordernd.

Das ließ er sich nicht zweimal sagen, zog ihr hastig die Bluse über den Kopf, öffnete geschickt den BH und stürzte sich auf ihre kleinen runden Apfelhälften wie ein ungezogenes Kind auf verbotene Süßigkeiten. Er liebkoste die prallen Kirschkerne, die schon lange steif nach vorne standen, nahm sie spielerisch zwischen die Zähne, leckte, saugte, knabberte, biss. Er hörte erst auf, als sie ihm das Hemd über den Kopf zog. Was für ein Körper, dachte sie, der geht mindestens dreimal die Woche ins Studio. Erregt streichelte sie seinen mächtigen Bizeps, der ein Eigenleben zu haben schien, sich ihr prall entgegenwölbte. Sanft öffnete er den obersten Knopf ihrer Jeans, zog den Reißverschluss auf und ging in die Knie, um ihr aus der hautengen Hose zu helfen. Sie war versucht, sein Gesicht an sich zu pressen, doch es gab da eine unvergessene Abweisung bei ähnlicher Gelegenheit. Daher nahm sie Abstand, auch wenn sie hoffte, dass seine Zunge sich später noch eingehender mit ihrem empfindlichsten Körperteil beschäftigen würde. Glaubte man den Berichten ihrer Freundinnen, war das ja quasi Standard heutzutage, gehörte wie Blasen zu den gängigen Praktiken, die allgemein erwartet wurden, wie das Haarewaschen beim Frisör. Bei den Männern war es natürlich auch eine Frage der Sauberkeit, wer hatte schon Lust, mit der Nase in einem Paar ungewaschener Socken zu stecken, nur damit ein Wildfremder zu seinem Ständer kam? Sie jedenfalls nicht. Naja, vielleicht würde sie heute eine Ausnahme machen. Falls die Ausstattung ihren Erwartungen entsprach. Man musste halt nachschauen, Karten auf den Tisch, wie ihre Freundin Luisa gerne betonte, und natürlich hatte sie recht.

Er trug Jockeyshorts von Armani, schwarz und vorne unübersehbar ausgebeult. Sie schaute ihm in die Augen, fuhr sich genüsslich mit der Zunge über die Lippen und kniete sich vor ihn, was ihm ein lüsternes Grunzen entlockte. In einem Rutsch zog sie den Stoff von seinen edlen Teilen, wunderte sich über eine Art Tiefschutz, einen stabilen Einsatz, der die Ausbeulung verursacht hatte und nun völlig nutzlos zwischen seinen Füßen baumelte. Sein Träger hatte sich vorsorglich parfümiert, das Schamhaar etwas zurechtgestutzt. Doch es fehlte ein entscheidendes Detail. Dort, wo sie den Hauptdarsteller des Abends erwartete, befand sich … ja, was eigentlich? Völlig perplex, warf sie einen Blick in seine Shorts, als ob sie dort unten finden könnte, was sie oben vermisste. Was da halb versteckt vor ihrem Gesicht kauerte, erinnerte an eine umgedrehte Heftzwecke und war definitiv unbrauchbar. Noch nicht einmal der daumennagelgroße, rot leuchtende Kopf ragte vollständig aus dem haarigen Gestrüpp hervor, als fürchtete sich der verborgene Rest vor dem Angriff. Doch der würde ausbleiben. Sie hätte ihre Lippen wie zu einem spitzen Kuss schürzen müssen, um überhaupt heranzukommen, von in-den-Mund-nehmen konnte man hier wohl kaum reden. Es war aussichtslos. Sie war betrogen worden. Wie konnte ein gutaussehender, durchtrainierter Kerl wie dieser hier so ein Pimmelchen in der Hose haben?

In stillem Einverständins ließen beide ihre restlichen Klamotten zu Boden fallen, dann dirigierte sie ihn zum Bett. Um 7:30 würde der Wecker klingeln, so blieben ihr morgen zwei Stunden, um den ICE nach Hamburg zu erreichen. Wenn das hier in einer guten halben Stunde vorbei war, würde sie noch genug Schlaf bekommen, um nur ein kleines bisschen übernächtigt bei ihren Eltern am Mittagstisch zu sitzen. Der Muskelmann schien ihre Gedanken erraten zu haben und kam gleich zur Sache. Sie machte die für diese Gelegenheit vorgesehenen Bewegungen und Geräusche, wurde ganz Frau in Ekstase – und hoffte auf ein schnelles Ende seiner Bemühungen. Ab morgen würde sie um eine Anekdote reicher sein, die sie ihren Freundinnen beim Kaffee erzählen konnte. Während sie im Kopf ihre morgige To-Do-Liste durchging, bewegte sich ihre schnaufende Eroberung im Tempo einer gut geölten Nähmaschine. Sie warf an den richtigen Stellen den Kopf zurück und behielt gleichzeitig den Reisewecker im Auge. Nach exakt viereinhalb Minuten war er am Ziel, woraufhin sie beschloss, es auch zu sein. Es bestand kein Grund, die Sache unnötig in die Länge zu ziehen. Sie schenkte ihm noch ein versonnenes Lächeln und flüchtete unter die Dusche. Als sie kurze Zeit später zurück ins Zimmer kam, war das Bett leer. Gott sei Dank.

Ihr Christoph Junghölter

 

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