Was berührt mich? Was möchte ich zu dieser Welt sagen? Was schwingt in mir und meinem Team? Wo finden wir einen Nenner?

Ein Gespräch mit Sabrina Glas, freie Theaterregisseurin.

Das Interview führte Joan Weng.

Sabrina Foto

Sabrina Glas, Jahrgang 1980, studierte Germanistik sowie Berufs- und Wirtschaftspädagogik, organisierte aber schon während ihrer Studentenzeit erste Projekte am Staatstheater Schauspiel Stuttgart (DEPOT) und schnupperte dort bereits in die Regiearbeit hinein. Gleich nach dem Magisterabschluss realisierte sie im Auftrag der Ruhrtriennale Essen unter Regie Anja Gronaus Corpus Delicti von Juli Zeh. Es folgte eine mehrjährige Festanstellung im Bereich Regie & Assistenz am Deutschen Theater Göttingen und nach einem kurzen Berliner Zwischenspiel im Mai 2011 die Gründung des Freien Ensembles Spielzeugen, Stuttgart und Esslingen.

Aktuell studiert sie im Masterstudiengang für Klassenlehrer an der Freien Hochschule Stuttgart, um im Frühjahr 2016 die Ausbildung zur Waldorflehrerin abzuschließen.

Zur Eröffnung gleich eine etwas dreiste Frage: Warum wird man überhaupt Theaterregisseurin?

Weil man jung ist, voller Leidenschaft und Enthusiasmus und vor allem weil man an die Kraft der Bühne und ihre gesellschaftliche Wirkungsmöglichkeit glaubt.

Ein freies Ensemble zu gründen, statt sich wieder eine gemütliche Festanstellung irgendwo zu suchen, das war vermutlich kein leichter Schritt. Was hat dich dazu bewegt?

Eigentlich genau der eben genannte Anfangsimpuls. Im festen Engagement habe ich recht schnell gemerkt, dass die Hierarchien des Stadttheaters nicht meiner Auffassung von künstlerischen Arbeitsprozessen entsprechen. Schauspieler zerreißen sich zwischen Proben und Vorstellungen. Zunächst muss der „Betrieb“ am Laufen gehalten werden. Freiheit in der Wahl des Stoffes (also was will ich erzählen) bleibt dem Leitungsteam vorbehalten (und das nur bedingt, viele Theatermacher glauben an ein Spielzeitmotto und da muss dann geguckt werden: Welche Stücke passen ins Motto, wo ist der „Topseller“ – Auslastungszahlen sind gegenüber der Politik  wichtig usw.), Schauspieler reden da in der Regel gar nicht mit. Regisseure werden von außen eingekauft, es herrscht irgendwie so eine Art wirtschaftlicher Starherumreichungshype. Soll heißen, es gibt ein paar große Namen, mit denen arbeitet man (wenn man sie sich leisten kann) in der Regel gerne. Aufgefüllt wird bevorzugt mit Nachwuchsregisseuren direkt von der Regieschule – die sind günstig und haben junge „innovative“ und unverbrauchte Handschriften.) In diesem ganzen wirtschaftlich-künstlerischen Betrieb ist wenig Platz zum Ausprobieren/Experimentieren, denn das könnte ja auch  scheitern . Und klar ist immer „der Lappen muss hoch“. Wenn du einen Fehler machst, inhaltlich oder ästhetisch nicht weiter kommst, bist du in der Regel raus. Von der freien Arbeit habe ich mir versprochen, selbstbestimmt im Team über Themen und Inhalte zu entscheiden und auch ad hoc einmal auf gesellschaftliche Ereignisse künstlerisch reagieren zu können. Aber glaub mir, auch hier sieht die Realität anders aus.

Eines der Hauptprobleme ist sicher die Finanzierung der Stücke. Wie geht ihr mit dieser Unsicherheit um?

Schwer bis gar nicht. Arbeitest du frei, bist du noch stärker dem Diktat des Geldes unterworfen. Das habe ich mir in meiner jungen Naivität vor ein paar Jahren noch ganz anders vorgestellt. Für freie Künstler bedeutet künstlerisches Arbeiten in erster Linie Gelder zu bekommen: Anträge schreiben (immer in der Unsicherheit, ob sie überhaupt bewilligt werden), Sponsoren kennenlernen und feste Netzwerke schaffen. Sich mit der Politik gut stellen, Räume und Unterkünfte finden und so weiter und so weiter. Huch! Und da merkst du plötzlich: Zwei Drittel des Jahres machst du überhaupt keine Kunst, sondern kümmerst dich ums liebe Geld. Immer geplagt von so schnöden Fragen wie: Kann ich meine Miete bezahlen? Ist es okay Hartz IV zu beantragen? Wie versorge ich mich im Alter? Uh! Jetzt bloß nicht krank werden, die Anträge müssen raus. Die meisten „Freien“ die ich kenne, haben dann auch noch irgendwelche Nebenjobs. So habe ich das auch jahrelang gemacht: PH Studenten in Literaturwissenschaft und in der Theaterpädagogik unterrichtet, Schüler in Kulturmanagement und Theatergeschichte usw. Und dann stellst du fest, zwischen all dem freien Arbeiten hast du plötzlich fixe Termine, die dein Leben irgendwie minimal absichern. Kommt es dann endlich zu einer Probenphase (die plötzlich extrem an die Struktur des Stadtheaters angeglichen ist: sechs bis acht Wochen proben, Premiere, Pressetermine, Probenpläne, weil jeder ja irgendwie noch Verpflichtungen hat) ist die ursprüngliche Kraft schwer aufrecht zu erhalten.

Wie, nach welchen Kriterien suchst du die Stücke aus?

Immer nach gesellschaftlicher Relevanz. Was berührt mich? Was möchte ich zu dieser Welt sagen? Was schwingt in mir und meinem Team? Wo finden wir einen Nenner?

Welche Autoren beeinflussen deine Arbeit am stärksten?

Interessanterweise meistens nicht die Dramatiker. Ich bin ja auch Literaturwissenschaftlerin. Christa Wolf hat auch jetzt noch viel zu sagen. Ich mochte Frau Jelineks Wut (jetzt gerade irgendwie nicht). Und ich mag den Werther. Thomas Manns Zwiespalt zwischen bürgerlicher Existenz und Künstlertum und Klaus Manns rigorose Absage an die väterliche Bürgerlichkeit. Ich mag (um bei den Lebenden zu bleiben) Clemens Mayer und (jetzt doch mal eine Dramatikerin) Dea Loher.

Und zum Schluss: Was würdest du einem unbekannten Autor raten, der seine Stücke gespielt sehen möchte?

Kommt drauf an, was er will. Erfolg? Dann kontinuierlich netzwerken! Die „Mister and Misses Wichtigs“ der Stadt- und Staatstheaterszene kennen lernen – Fürsprecher suchen. Natürlich die großen Dramatikerwettbewerbe mitmachen (aber nur mit Fürsprecher und einem gewissen Bekanntheitsgrad beim Theatervolk). Für No-Names und Weltverbesserer: Nicht vom Geld abhängig machen! Nach Menschen suchen, die gleich schwingen, die sich verbinden können mit dem Text, die kollektiv arbeiten wollen und denen Geld ebenfalls egal ist. Die gibt’s! Zwar nicht wie Sand am Meer, ein bisschen Geduld (ein paar Jahre) braucht´s schon. Und: Keine Angst vor Rückschlägen – nicht Broadway-Denken, sondern Hinterhof-Bühne … Und dann gemeinsam Wachsen.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

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