Holmes: Abschied von der Baker Street oder der Mensch hinter der Legende

Eines vorweg: Ich liebe Sherlock Holmes! Ich habe sämtliche der Conan Doyle Geschichten gelesen, sogar die meistens ziemlich miesen Nachfolgeromane schriftstellerisch nur so semi-begabter Fans. Ich kenne sämtliche Verfilmungen, Holmes unautorisierte Biographie und die Erinnerung des Dr. Moriaty, ich war viermal im Sherlock Holmes Museum London und wäre Sherlock nicht so ein Scheißname, mein Sohn wäre Gefahr gelaufen, so getauft zu werden.  Wenn mich ein `neuer` Holmes überzeugt, also das will etwas heißen und Cécil & Brunschwigs Graphic Novel: Holmes – Abschied von der Baker Street hat mich wirklich  begeistert.
Zunächst sind die fast komplett in Schwarz-Weiß und Sepia gehaltenen Zeichnungen ein reiner Genuss, wecken sie doch das Gefühl einen alten Kintopkrimi anzusehen. Hierzu muss ich jedoch sagen, dass mir ein Freund mit Sehschwäche gestand, er täte sich mit dem doch teilweise sehr kleinen Schriftbild schwer, besonders bei den Schreibschriftpassagen – in wie weit diese Einschätzung Allgemeingültigkeit besitzt, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich hatte jedenfalls keine Probleme.
Die Geschichte selbst – oder ihr erster Teil, um den es sich bei „Abschied von der Baker Street“ handelt – bietet alles was man von einer Hommage an Sherlock Holmes erwartet, das gewohnte Personal vom guten Dr. Watson über Mycroft bis hin zu Wiggins; Londoner Nebel abgelöst von Londoner Regen; Droschken- und Zugfahrten und natürlich eine enge Anknüpfung an die Erzählungen Conan Doyles.
Die Handlung setzt kurz nach dem legendären Sturz in die Reichenbachfälle ein, Dr. Watson hat eben seinen uns heute so bekannten Bericht über die Ereignisse an seinen ‚Literaturagenten` Conan Doyle geschickt, als sich die Ereignisse zu überschlagen beginnen. Sherlocks ehemalige Wohnung wird zerstört, seine Unterlagen von seinem eigenen Bruder vernichtet und plötzlich droht ein Bruder Prof. Dr. Moriatys mit Klage gegen das Strand Magazine, sollte es die Erzählung Watsons drucken. Der Mann, den Holmes zum Napoleon des Verbrechens stilisierte, lebt nämlich! Ein braver, wenig erfolgreicher Dozent der Universität Leicester, an Leib und Seele gezeichnet durch einen Wutausbruch des jugendlichen Sherlock.
Und bald bleibt nur noch eine Frage: War der größte Detektiv aller Zeiten wohlmöglich nur ein sich im Drogenwahn verfangender Geisteskranker, dessen bester Freund und Chronist sich standhaft weigerte der hässlichen Wahrheit ins Gesicht zu sehen?
Der erste der drei Bände lässt fast keine andere Deutung mehr zu, aber ist das nicht immer so bei Conan Doyle und am Ende ist doch alles ganz anders? Leider ist die Serie noch nicht abgeschlossen, die Auflösung noch nicht erfolgt, eine abschließende Bewertung des Falls deshalb nicht möglich, aber der  zweite Band „Schatten des Zweifels“ verspricht schon, eine abschließende Wahrheit ungleich komplizierter, teuflischer und spektakulärer, als man es erwartet.
Hoffen wir, dass das Versprechen eingehalten wird.

Ihre Joan Weng

 

Bücher und Medien zu Sherlock Holmes sind en vogue. Und keineswegs nur die von seinem geistigen Vater Arthur Conan Doyle. Die Zahl der Autoren, die versuchen in dessen Fußstapfen zu treten ist kaum noch abzusehen, selbst wenn man Sherlock-Holmes-Pastiches, also Nachahmungen, mal außer Acht lässt. Nun also ein neuer Comic. Obwohl … so neu auch wieder nicht. 2006 + 2008 in Frankreich erschienen, 2013 kam die deutsche Übersetzung.

Worum geht es? Am 4. Mai 1891 starb Sherlock Holmes in den Reichenbachfällen. Sein größter Widersacher wollte ihn los werden. Professor Moriarty? Keineswegs – Holmes größter Widersacher war sein geistiger Vater, Arthur Conan Doyle. Doch gelang diesem das nicht. Unter dem Druck der Öffentlichkeit und seiner Mutter musste er den Meisterdetektiv wieder auferstehen lassen und Romane und vor allem Kurzgeschichten nachlegen.

Doch war das alles tatsächlich so? Die Autoren dieses Comics gehen die Sache anders an. Sie stellen alles in Frage: Die Bösartigkeit von Moriarty, die Integrität von Dr. Watson und nicht zuletzt auch die Geduld der Leser. Die Grafik des Comics hat etwas Faszinierendes und hemmt manches Mal den Lesefluss, weil man genauer hinschauen möchte. Trotzdem bleibt sie viel zu oft im Schablonen- und Klischeehaften hängen. Ein Makel in meinen Augen, der jedoch nicht allein diese Ausgabe trifft, sondern Comics generell. Aber auch wenn versucht wird, diese Art Comics mit der Bezeichnung »Graphic novel« aufzuwerten, täuscht das doch nicht darüber hinweg, das sich viele Künstler in diesem Genre zu enge Grenzen setzen.
Ich will aber nicht ungerecht sein – ganz missfallen hat mir diese »Graphic« nicht. Die Story selbst beginnt interessant, die Idee ist auch nicht schlecht, aber es kommt mir doch wie heiße Luft vor. Das Thema wird breit ausgewalzt, im zweiten Teil durch einen Rückgriff auf die Jugend Sherlock Holmes noch deutlicher neben die Spur des Originals gesetzt – durch sepiafarbige Grafik von den anderen Teilen auch optisch abgesetzt. Aufgenommene Fäden werden aber nicht zu Ende gebracht und so schließt der Band mit dem Versprechen, irgendwann eine Lösung zu liefern. Wenn ich jedoch in der Vorankündigung lese, dass auch der zweite Band noch keine Lösung bietet, dann fehlt mir die Lust am Weiterlesen. Recherche in der französischen Wikipedia zeigt, dass der dritte Band – 2012 erschienen –, der zweite Band der deutschen Ausgabe ist. Eine endgültige Lösung des Rätsels Sherlock Holmes und Moriarty existiert also noch nicht. Die Frage bleibt, ob sie je kommen wird. Doch selbst wenn – die Autoren müssen schon ganz schön was in Petto haben, wenn sie die aufgebaute Neugierde einigermaßen angemessen befriedigen wollen.

Ihr Horst-Dieter Radke

Cécil & Brunschwig
HOLMES (1854/+1891?)
Erster Band: Abschied von der Baker Street

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