Jenseits von Afrika

Ich hasse Reisen. Oder besser gesagt, ich hasse alles, was davor und danach kommt: das Kofferpacken und -auspacken, das Kofferschleppen, Nächte im Flugzeug mit übergewichtigen Sitznachbarn … Sie wissen, wovon ich rede.

Aber: Ich liebe es, an anderen Orten zu sein. Schließlich geht nichts über den ersten afrikanischen Sonnenstrahl auf der Haut, wenn man eben noch im europäischen Winter gewesen ist. Deshalb reise ich; widerwillig packe ich meinen Koffer ein und aus und bin angestrengt freundlich zu meinen Sitznachbarn.

Es soll ja Leute geben, die konsequenter sind. Sie hassen Reisen, also reisen sie nicht. An fremde Orte gelangt man schließlich auch mit Büchern. Deshalb sind meine Lese-Geschenk-Empfehlungen im Grunde Reiseempfehlungen. Reisen Sie nach Afrika!

Ich habe das im letzten Jahr getan. Lesend und tatsächlich.

Überrascht stellte ich in Südafrika fest, dass ich die Einzige in unserer Reisegruppe war, die einen Roman dabei hatte, der in Kapstadt spielte. Dabei ist Rayda Jacobs’ „Bekenntnisse einer Spielerin“ eine ganz wunderbare Urlaubslektüre. Die Grundkonstellation: alleinstehende Frau, Mutter mehrerer erwachsener Kinder, von denen eines schwul und HIV-positiv ist, die den Mann, den sie liebt, nicht bekommen kann und stattdessen mit finanziellen Sorgen zu kämpfen hat, an denen sie wegen Spielsucht auch noch selbst schuld ist. Ich gebe zu, einen deutschen Roman mit dieser Konstellation würde ich nicht lesen, weil zu vermuten wäre, dass die Auflösung irgendwie mit dem richtigen Mann zu tun hätte. Aber bei Rayda Jacobs funktioniert das, vielleicht, weil die Aspekte Südafrika und Muslima dem Buch eine Prise natürlicher Exotik beifügten.

Vor meiner Reise hatte ich mir noch Malla Nunn „Ein schöner Ort zum Sterben“ vorlesen lassen – ein Kriminalroman, der vom Südafrika der 50er Jahre handelt, in einer Zeit also, in der die Welt dort noch deutlich in Schwarz und Weiß geteilt war. Das hat mich sensibilisiert für die Schwierigkeiten, die eine Gesellschaft haben muss, die so lange mit dieser Art von Teilung gelebt hat. Malla Nunn hat inzwischen weitere Kriminalromane um ihren Ermittler Emmanuel Cooper geschrieben, die, unverdient, in Deutschland noch nicht so bekannt sind.

Kein Geheimtipp mehr hingegen ist Deon Meyer. Man muss kein Südafrika-Fan sein, um seine Krimis zu lesen, allerdings sollte man eine gewisse Dosis Gewalt vertragen können, denn sie spielt in seinen Büchern eine wichtige Rolle. Das wirkt jedoch nicht wie eine verkaufsfördernde Maßnahme, wie bei anderen zeitgenössischen Krimi- oder Thrillerautoren, sondern ergibt sich aus dem Handlungsort: Einem Land, das 25 Jahre nach dem Ende der Apartheid noch immer unter den Folgen leidet und als eines der gefährlichsten Länder der Welt gilt. Ein Menschenleben sei nichts wert, war ein Satz, den ich in Südafrika nicht nur einmal hörte. Dem widerspricht Deon Meyer mit seinen Büchern, in denen er Figuren aus allen Kreisen der Gesellschaft lebendig werden lässt.

Ebenfalls kein Geheimtipp, aber immer noch und immer wieder empfehlenswert: Nelson Mandelas „Der lange Weg zur Freiheit“. Die Biographie eines aufrechten Menschen, Freiheitskämpfers, Politikers, der ein Land verändert hat und dem Kampf dafür sein ganzes Leben gewidmet hat, weil es ihm das wirklich Wichtigste war.

Aus dieser Freiheit ein neues Leben gestalten, neue Orientierung finden, wo die alten Werte nicht mehr gelten, das allerdings müssen die Bewohner des Landes selbst tun. Das fällt ihnen – vornehmlich den weißen Bewohnern – schwer. Davon erzählt J.M. Cotzees Roman „Schande“. David, ein in Ungnade gefallener Universitätsprofessor, der sich in der Welt nicht mehr zurechtfindet, nachdem seine privilegierte, zivilisierte Existenz nicht mehr der Maßstab der Gesellschaft ist. Ein trauriges, verstörendes Buch, dessen Autor Südafrika inzwischen verlassen hat.

Für europäische Lesegewohnheiten fremd liest sich „Der Walrufer“ von Zakes Mda. Es ist eine Dreiecksgeschichte besonderer Art: konkurrieren doch hier eine Frau und ein Wal miteinander, wenn auch im Fall des Wales gänzlich unbewusst. Dieser Roman spielt ca. 100 Kilometer von Kapstadt entfernt, in Hermanus, einem Ort, der als einer der besten Walbeobachtungsorte der Welt gilt. Der Roman erzählt von einem Mann, dem Walrufer, für den die Wale in Hermanus seit seiner Kindheit zum Leben gehören und der sich jetzt über die Touristen wundert, die neuerdings in Scharen in seine Heimatstadt einfallen, um die Tiere zu fotografieren. Er selbst hat immer nur eine der Walfrauen geliebt und wartet jedes Jahr ungeduldig auf ihre Ankunft. Selbst als er von der Säuferin Saluni umworben wird, kann er nicht aufhören, die Nähe seiner Walfrau zu suchen. Ein poetisches Buch, das von Einsamkeit und der Unmöglichkeit von Liebe erzählt.

Mit Literatur aus Afrika ging es mir, wie es oft passiert: Wenn man einmal angefangen hat, etwas zu entdecken, dann eröffnen sich plötzlich ganz viele neue Fenster. So habe ich lesend im vergangenen Jahr nicht nur Südafrika bereist. Ich war auch mit Chigozie Obioma in Nigeria; sein Buch „Der dunkle Fluss“ ist völlig unverdient im neuen „Literarischen Quartett“ verrissen worden. Mich hat die Geschichte einer Familie, die an einer Prophezeiung zugrunde geht, berührt und erschüttert wie lange kein Buch mehr – und ich liebe Bücher, die das schaffen.

Mit Francesca Marciano war ich in Kenia, wo ihre Heldin Esmé, eine Europäerin, mit ihrem kenianischen Mann unter dem „Himmel über Afrika“ lebt und sich in einen britischen Kriegsreporter verliebt. Sie alle gehören zu der weißen Community, an die Esmé einerseits aus naheliegenden Gründen gebunden ist, gleichzeitig aber hinterfragt und nur schwer erträgt. In diesem Fall hat der erste Absatz gereicht, mich in das Buch hineinzuziehen. „In gewisser Weise ist hier immer alles aus zweiter Hand … Du schläfst mit einem Mann, der schon mit allen deinen Freundinnen geschlafen hat.“ Das ist Afrika jenseits von Robert Redford und Meryl Streep, deren Afrika es sowieso nicht mehr gibt.

Reisen durch Bücher ist wirklich eine gute Alternative: Sie bekommen keinen Sonnenbrand, brauchen keine Malariaprophylaxe, laufen nicht Gefahr, sich irgendwann einer auf Sie gerichteten Waffe gegenüber zu sehen und lernen trotzdem andere Welten kennen. Und falls das eine oder andere Buch doch mal die Reiselust in Ihnen weckt, sind Sie vorbereitet auf das, was Sie in der Fremde erwartet.

Reiselustige Grüße
Ihre Dorrit Bartel

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