Baumanns Weltdeütsch

Nehmen wir einmal für einen kurzen Moment an, Deutschland hätte den 1. Weltkrieg gewonnen – rein hypothetisch. Wenn dem so gewesen wäre, dann hätte es seine Kolonien behalten dürfen, es hätte an politischem Einfluß gewonnen, wäre ein ernstzunehmender Konkurrent des Englischen englischen Königreiches geworden und wäre eine der kommenden, führenden Weltwirtschaftsmächte geworden. Adalbert Baumann war im Jahr 1915 Professor für deutsche Sprache in Bayern und ging von oben skizziertem Szenario aus, als er die Plansprache „Welt-Dialekt“ – kurz Wede – konzipierte. Ein Jahr später taufte er sein Konzept in „Weltdeutsch“ bzw. „Weltdeütsch“ um. Ziel war es, ein vereinfachtes Deutsch zu schaffen, das als Verkehrssprache in den Kolonien und mit „Bundesgenossen“ geeignet sei. Das Mittel der Wahl war Vereinfachung, z. B.:

1) Die Streichung von Konsonanten, insbesondere deren Häufungen.

k statt ch

f statt pf

arz statt  Arzt

2) Vereinfachung der Schreibweise („Shraibe, wi du sprichst!“)

Kwalle statt Qualle

stazion statt Station

3) Weitgehende Reduzierung der Umlaute.

Woltater statt Wohltäter

4) Abschaffung der meisten Artikel.

bestimmt: de (Singular) di (Plural)unbestimmt: aine

5) Verben werden nicht mehr konjugiert, stattdessen umschreibt man mit „tun“.

tun Si faren statt fahren Sie

6) Die Pluralform der Substantive ist einheitlich und lautet –en.

Ausnahme: Endet ein Substantiv auf er oder el dann wird lediglich n angehängt.

7) Der Dativ plus Präposition ersetzt den Genitiv.

fon de fater statt des Vaters

8) Adjektive enden auf –e und sind unveränderlich. Adverbien sind Adjektive.

9) Der Wortschatz wird auf etwa 3000 Wörter begrenzt. So kann etwa das „Sammelwort“ kaputt für jede Unbrauchbarkeit stehen, bspw. zerbrochen, zerrissen, geplatzt, durchlöchert. Anstatt des umständlichen Möchten Sie mir einmal das Salz reichen? genügt das einfachere Bitte de Salz!

10) Die Syntax ist variabel zu handhaben. Verständlichkeit steht im Vordergrund.

Folgender Beispieldialog stammt von Baumann selbst:

A: is das de banhof?

B: ia.

A: wohin tut Si wolen raisen?

B: nach Budapest. Welche zug tu ich nemen solen?

A: tun Si faren mit de snel-zug, in 3 stunden tun Si hinkomen. De personen-zug tut brauchen mer zait, wail er tut halten auf iede klaine stazion. Hir is de shalter.

B: bitte aine bilet, 2. klase, Budapest. Aber aine plaz bai de fenster, damit ich tu séen könen hinaus.

Na, alles verstanden? Im Notfall empfiehlt Baumann: Laut lesen. 😉

Wie wir alle wissen, gehörte das Deutsche Reich nach dem Ersten Weltkrieg nicht zu den Siegern. Mit dem politischen Einfluss und den Kolonien verschwand auch die Notwendigkeit einer weltweiten Verkehrssprache wie Baumanns Weltdeutsch, das – wie so vieles andere – zu einer Randnotiz der Geschichte wurde. Baumanns Ansatz war bereits zu seiner Zeit umstritten, skurril muten Baumanns Gedanken jedoch allenfalls aus heutiger Sicht an.

Die beiden wichtigsten Quellen zu Baumanns Entwurf sind auf der Seite der Österreichischen Nationalbibliothek [http://www.onb.at/] online einsehbar:

1) Wede: die Verständigungssprache der Zentralmächte und ihrer Freunde, die neue Welthilfssprache

2) Das neue, leichte Weltdeutsch (das verbesserte Wedé) für unsere Bundesgenossen und Freunde : seine Notwendigkeit und seine wirtschaftliche Bedeutung

Ihr Christoph Junghölter

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