Autoren und Urlaub

Vor einiger Zeit habe ich vor einer Schulklasse gelesen. Deren Lehrer fragte, wie Lehrer das eben gerne tun, seine Schüler, wie sie sich denn so den Alltag von Autoren vorstellten.
Die Antworten waren durchaus schmeichelhaft.
Autoren – so die zehnjährigen Probanden – verbringen ihren Tag gerne mit der Mörderjagd, wobei sie von blonden Polizistinnen unterstützt werden, oder, wenn es Autorinnen sind, dann sitzen sie vor der Magnolia Bakery (Manhattan), wo sie zusammen mit ihren sexy Freundinnen die Bettbekanntschaften der letzten Nacht durchsprechen und danach noch ein bisschen Luxusschuhe shoppen.
Man sieht, der Alltag von Autoren ist so beschaffen, dass sie eigentlich keinen Urlaub brauchen, aber anlässlich der Feriensaison möchten wir uns in der Sonntagsreihe doch der Thematik widmen.

Viel Spaß beim Lesen und im Urlaub

wünschen Ihnen Joan Weng und das ganze Blog-Team

 

Heute: Drei Wochen im Jahr (von Dorrit Bartel)

Als (noch) unveröffentlichte, zukünftige Bestsellerautorin habe ich sechs Wochen im Jahr, in denen ich mir ohne Verpflichtungen aus meinem Brotverdienst einen Schriftstelleralltag schaffen darf. Wenn ich wegen diverser sozialer Verpflichtungen drei Wochen abziehe, bleiben mir drei Wochen im Jahr, um an dem Gefühl zu schnuppern, jeden Tag ganztägig Schriftstellerin sein zu dürfen.

So weit, so gut. Wenn die drei Wochen dann erst einmal feststehen, kommen die Fragen.

Zunächst: Bleibe ich zu Hause oder fahre ich weg? Da ich außer Zeit auch Inspiration brauche, beantworte ich diese Frage meist mit: Wegfahren.

Folgt die Frage: „Wohin?“

Das ist nicht einfach, denn eine alleinreisende Frau, die vor allem Ruhe zum Schreiben sucht, sollte sich das Ziel sehr genau überlegen. Einmal, auf dem Weg nach Nordafrika, sah ich mich schon auf dem Hinflug mit folgender Aussage konfrontiert: „Ach, Sie fahren allein, um Bekanntschaften zu machen. – Nein? – Aber Neinsagen gehört doch zum Spiel dazu, nicht?“ Ich hatte keine Lust, dem Mann zu erklären, dass ich schreiben will und war schon genervt, bevor ich überhaupt angekommen war. Allerdings musste ich ihm später leider Recht geben. Eine alleinreisende Frau in Afrika bleibt im Hotelzimmer oder macht Bekanntschaften. Ich blieb die meiste Zeit im Hotelzimmer und beschloss, das nächste Mal woanders hinzufahren.

Inzwischen reise ich am liebsten nach Frankreich. Bretagne, Nizza und am allerliebsten natürlich Paris. Paris ist perfekt. Das beginnt beim Essen, die ersten drei Tage brauche ich nichts außer Baguette und Käse, schon habe ich jede Menge Zeit für‘s Kochen oder Essengehen eingespart und kann schreiben. Außerdem bilde ich mir ein, dass es mein Sprachgefühl schärft, wenn ich mich vollkommen darauf konzentrieren kann, im Deutschen eine passende Formulierung zu finden, während ich mich um Einkauf und dergleichen Alltagskram in einer anderen Sprache kümmere. Da ich irgendwie immer zu einer Wohnung in Paris komme, kümmere ich mich tatsächlich meist um alles selbst: Gehe einkaufen, putze und koche, wenn ich der Baguettes und des Käses überdrüssig bin. Und schreibe. Einmal habe ich immer vormittags in einer Hinterhofwohnung im 18. Arrondissement, nahe Moulin Rouge und Friedhof Montmartre geschrieben und habe nachmittags Sehenswürdigkeiten abgeradelt. In einem anderen Jahr wohnte ich im 20. Arrondissement, in der Nähe des Père Lachaise und verbrachte meine Schreibpausen mit Besuchen bei Marcel Proust, Colette, und Oscar Wilde. Im letzten Jahr war ich in der einzigen echten Sommerwoche des Jahres während des Ramadan Bewohnerin einer Wohnung im 11. Arrondissement. Tagsüber war es unmöglich, die Wohnung zu verlassen, weil die Straße einem Ofen glich. Es hat mich nicht gestört, ich wollte ja sowieso schreiben. Allabendlich aber spazierte ich auf dem Boulevard de Belleville zwischen Muslimen entlang, die sich auf das Fastenbrechen bei Sonnenuntergang vorbereiteten. Die Stadtbesichtigungen habe ich später einmal gut für eine Kurzgeschichte gebrauchen können und ich bin mir sicher, dass auch die Muslime vom Boulevard de Belleville irgendwann in einem Text von mir zu finden sein werden.

Wenn ich angesprochen werde, erkläre ich bedauernd in stotterndem Französisch, ich würde leider nicht verstehen, was man von mir wolle und widme mich wieder meinem Notizbuch. Wenn der Typ mir gefällt, stottert mein Französisch übrigens weniger.

Sie sehen, alleinreisende Frauen, die in ihre Notizbücher kritzeln oder in die Tastatur ihres Laptops tippen, wollen in Ruhe gelassen werden. Schließlich haben sie nur drei Wochen im Jahr.

Sollten Sie aber doch mit ihr ins Gespräch kommen, seien Sie nett zu ihr. Schließlich könnte sie eine zukünftige Bestsellerautorin sein.

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