„Als Autor suche ich natürlich Möglichkeiten, mich zurückzuziehen, um in Ruhe und kontinuierlich schreiben zu können.“

SONY DSCInterview mit dem diesjährigen Putlitz-Stipendiaten Tobias Schwartz.

Es fragte: Claudia Kociucki

Liebe Blog-, Putlitz-, Schreib- und Lesefans,

heute stelle ich Ihnen und euch Tobias Schwartz  vor, der Ende April und im Juli/August für 42 Tage – natürlich, eine andere Zahl käme gar nicht infrage – sein Residenzstipendium in Putlitz antreten und dort sein aktuelles Buchprojekt vorantreiben wird. Mit der Gans durchs Dorf quasi. Nach seinem Studium der Germanistik und der Philosophie, seit 2006 präsentiert er eigene Texte in Form von Performances, work-in-progress-Abenden und szenischen Lesungen in der Berliner Off-Theater-Szene. Er debütierte  im September 2007 mit „Film B“ im Satyr Verlag, im selben Jahr feierte sein erstes Theaterstück Uraufführung – weitere erfolgreiche Produktionen folgten.  Schwartz war zuletzt Stipendiat des LCB und erhielt das Albrecht-Lempp Stipendium.

„Aufgeschnappt“

Tobias, herzlichen Glückwunsch zunächst einmal zum Gewinn des diesjährigen Residenzstipendiums.

Vielen Dank.

 

Wir freuen uns alle mit dir! ‚42 Tage Putlitz‘, da sind wir auch schon mitten im Thema: Über die Zahl 42 ist schon hinreichend viel gesagt und geschrieben worden. Wir zählen schon alle die Tage bis zum nächsten Putlitz-Besuch, daher fokussieren wir den bezaubernden Ort des Geschehens. Putlitz hat 13 Ortsteile, liegt 57 Meter über dem Meeresspiegel, und man begegnet auf einem Quadratkilometer durchschnittlich 23 Einwohnern. Wie sieht es dort aus, wo du derzeit lebst?

Ich lebe seit bald zwanzig Jahren in Berlin, wo es – offiziell – 3,5 Millionen Einwohner gibt. Das Tolle an Berlin ist, dass man das gar nicht merkt, wenn man nicht gerade furchtbare Orte wie den Potsdamer Platz aufsucht, und das tut man ja als Berliner nur, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt. Ansonsten haben wir viele Bäume und Parks und natürlich die „Kieze“, in denen es beinahe dörflich zugeht. Das heißt, im Blumenladen, an der Supermarktkasse oder natürlich beim Buchhändler um die Ecke kennt man sich. Aber natürlich hat man auch das kulturelle Angebot der Stadt, auf das man zurückgreifen kann, die vielen Theater, die Philharmonie.

Stell dich doch bitte in 42 Wörtern vor!

Es wäre lustig, heuer zweiundvierzig zu werden, aber ich werde erst vierzig. Ich bin in Osnabrück geboren in einer Zeit, in der David Bowie seine besten Alben machte und der Punk erfunden wurde. Das muss etwas bedeuten, ich weiß nur nicht, was.

Wie kam es, dass du dich für das 42er-Residenzstipendium beworben hast?

Auf die Ausschreibung bin ich auf Literaturport.de gestoßen, dem sehr nützlichen Onlineportal des Literarischen Colloquiums Berlin und des Brandenburgischen Literaturbüros. Als Autor suche ich natürlich Möglichkeiten, mich zurückzuziehen, um in Ruhe und kontinuierlich schreiben zu können. Interessant fand ich, dass Gottfried Benn im Putlitzer Ortsteil Mansfeld geboren wurde, wo ich ja wohl „residieren“ werde.

Warum liegt dir das Buch, das du in Putlitz schreiben wirst, so am Herzen, dass du dir gezielt diese schreibkonzentrierte Auszeit nehmen wolltest?

Mir liegt natürlich jeder Text, an dem ich arbeite, am Herzen. Ich schreibe aber auch Theaterstücke, die schneller gemacht sind als Romane – mit Romanen verbringt man wesentlich mehr Zeit, die werden zu echten Weggefährten, Partnern. Beworben habe ich mich mit dem bereits weit fortgeschrittenen Romanprojekt „Emlichheimer“, einem umfangreichen, zeitaufwändigen Projekt, in dem es um einen Potsdamer Kinderarzt namens David und seine im Provinznest Emlichheim lebende Jugendliebe Grete geht, die ein Kind von ihm bekommt – just an dem Tag, an dem er angereist kommt. David weiß von der Schwangerschaft, aber er weiß nicht, dass er der Vater ist, und denkt sich, wenn er es wäre, hätte sie es ihm gesagt. Sie aber hat es ihm nicht gesagt, weil sie denkt, dass er es doch wissen muss. Der Konflikt scheint unlösbar und hat auch mit ihrer jeweiligen Geschichte und der Geschichte des Dorfes Emlichheim insgesamt zu tun, einem paradigmatischen westdeutschen Ort, dessen Bevölkerung zu einem Drittel aus Flüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten und deren Nachfahren besteht. Mein Roman erzählt in mehreren Zeitebenen von der Flucht im Jahr 1945, der Ankunft im Westen, vom entstehenden „Wirtschaftswunder“, den politisch aufgeladenen Sechzigern und der mehr oder weniger gelingenden Integration, deren Problematik sich bis in die dritte Generation erstreckt, Davids und Gretes Generation, die beide aus Flüchtlingsfamilien stammen, deren Mitglieder das Romanpersonal darstellen, neben vielen anderen Figuren. In „Emlichheimer“ kommt auch Napoleon Bonaparte vor, der für die Dorfgeschichte von großer Bedeutung ist, der „Kartoffelkönig“ Friedrich der Große, die in Emlichheim ansässige, mutmaßlich größte Kartoffelstärkefabrik Europas, viele Schwäne (keine Gänse), ein paar Selbstmörder und nicht zuletzt zwei mysteriöse Riesen, die die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen …

„Auf nach Putlitz!“

Ich gehe davon aus, dass du noch nie in Putlitz warst, richtig? Welche drei Begriffe beschreiben, wie du es dir dort vorstellst?

Ja, stimmt, ich war noch nie in Putlitz. Ich stelle es mir ruhig vor, abgeschieden und idyllisch. Also wären die Begriffe Ruhe, Abgeschiedenheit und Idylle. Das ist, was ich immer häufiger brauche. Natur wäre ein vierter Begriff.

42 Tage … Wie denkst du, wird dein Tagesablauf in Putlitz aussehen?

Ich schreibe vormittags, je früher und geistig frischer ich beginne, desto besser gelingen die Dinge. Die Nachmittage würde ich für eventuelle Korrekturen nutzen, aber auch, um die Gegend zu erkunden, also zu wandern und auch mal an einen See zu fahren und zu lesen. Ich werde überhaupt viel lesen.

Welche drei Dinge, die nichts mit dem Schreiben zu tun haben, wirst du unbedingt mit nach Putlitz nehmen?

Hm, hat nicht irgendwie alles mit dem Schreiben zu tun – zumindest potentiell? Aber einmal abgesehen davon nehme ich ein Auto mit und zumindest zeitweise meine Frau und meinen dann zweijährigen Sohn.

„Aufgetischt“

Ich habe mit dem Schreiben angefangen, als … ich gespürt habe, dass da etwas in mir ist, das nach einem literarischen Ausdruck verlangt.

Ich ‚muss‘ unbedingt schreiben, weil … es niemand anderen gibt, der das für mich tun könnte. Außerdem kriege ich Kopfschmerzen, wenn ich nicht zum Schreiben komme und meine Ideen einen Rückstau bilden.

Zum Schreiben brauche ich unbedingt … ruhige und ungestörte, vor allem unbefristete Morgen- und Vormittagsstunden, aber auch die Auseinandersetzung mit Literatur und Menschen oder Menschen und Literatur (bessere Reihenfolge).

Bisher habe ich vor allem … Romane, Erzählungen und Theaterstücke geschrieben.

An meiner Schreibe mag ich/mögen andere besonders, dass … sie nicht so tut, als müsse sie die Realität nur abbilden, als sei Literatur nicht eine Kunstform. Andere finden oft lustig, was ich schreibe, jedenfalls wird auf Lesungen viel gelacht.

Leider habe nicht ich das Buch Wellen… geschrieben, sondern Virginia Woolf, tja

„Auf ein Wort“

Dein erstes Wort? Mama (Oder war es Essen?)

Dein Lieblingswort? Das ist eine sehr verfängliche Frage, auf die ich nicht antworten kann. Da will ich mich nicht festlegen. Es gibt natürlich Adjektive, die ich schön finde. Es gibt auch Substantive, die ich für wichtig halte. Und Verben, über die ich regelrecht ins Schwärmen gerate. Aber jedes ausgewählte Wort wäre Verrat an einem anderen. Und aus dem Kontext gerissen würde es auch gar nicht funktionieren. Mein erster Gedanke zum Lieblingswort: „mehr“. Aber daran würde ich natürlich nicht ernsthaft festhalten wollen…

Dein Herzensort? Sils Maria im Oberengadin. Oder vielleicht Vevey am Genfer See. Nein, Visperterminen im Wallis. Ich liebe die Schweiz, also ihre Landschaft. Jedenfalls wenn ich nicht an Frankreich denke, an die Normandie oder die Bretagne, auch an Paris. Oder an Südengland, an Cornwall oder die Isle of Wight. Oder an New York. Oder einfach Hiddensee. Vielleicht ist es auch der Potsdamer Park Sanssouci. Der Berliner Tiergarten. Der Stechlin-See. Der Kurort Bad Salzdetfurth in der Nähe des Harzes. Oder die „Denne“, eine Endmoräne am Ortsrand von Emlichheim.

Dein absolutes Lieblingstier? Enten – kein Witz. Die europäische Krickente (Anas crecca) insbesondere. Ich würde gerne ein Buch über Enten schreiben.

‚Gans‘ falsche Antwort, lieber Tobias … Ich bedanke mich für das nette Gespräch und freue mich schon, dich bei der Preisverleihung zu unserem Kurzgeschichtenwettbewerb am 11. Juni in Putlitz persönlich kennenzulernen. Bis dahin herzliche Grüße nach Berlin!

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