Hinüber zur Burg sehen, doch nicht mehr gehen!

Ein Besuch auf dem Bergfriedhof in Wertheim ist genau das Richtige für einen Tag, der etwas wolkenverhangen, aber doch noch warm genug ist, um ein wenig herumzuspazieren. Manch einer schüttelt ja den Kopf, wenn ich erzähle, dass ich gerne über Friedhöfe gehe, aber ich weiß inzwischen, dass ich damit nicht alleine bin. Peter Rosegger sagte dazu:

»Niemand geht unbelohnt über Friedhofserde; diese Schollen kühlen die Leidenschaften und erwärmen die Herzen, und nicht allein des Todes Frieden steht auf den Blumenhügeln geschrieben, sondern auch des Lebens Wert.«

(aus den »Schriften des Waldschulmeisters«)

 

Das Tor des Wertheimer Friedhofs steht halbgeöffnet, was mir wie eine Einladung zum Eintritt, nicht unbedingt aber auch zum Wiederaustritt erscheint. So schreckhaft bin ich aber nun doch nicht. Solange ich bewusst und freiwillig den Eingang finde, werde ich auch schon wieder herauskommen. Bislang hat das jedenfalls immer geklappt. Gleich der erste Blick zeigt, dass Altes neben Neuem steht. Linker Hand sind an einer Mauer viele Grabsteine vergangener Jahrhunderte aufgestellt, teilweise gar nicht mehr deutlich lesbar, interessant genug aber doch, um sich ein Bild vom Alter der Ansiedlung an der Mündung der Tauber in den Main zu machen.

 

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

 

Gehe ich weiter geradeaus, finde ich ganz hinten rechts das erste Grab, deswegen ich in der Hauptsache hergekommen bin. Hans Dieter Schmidt (29.9.1930 – 18.2.2005), geboren in Adelsheim, Studium in Heidelberg, dann Lehrer in Wertheim. Als ich 1982 ins Taubertal zog, gab es noch die schöne Sitte, dass in der regionalen Tageszeitung regelmäßig Gedichte und kurze Texte regionaler Dichter und Schriftsteller zu lesen waren. Immer wieder war auch Schmidt vertreten, und anders als beispielsweise mit den Mundartdichtern, war ich mit seinen Gedichten fast sofort vertraut. Seine Bücher erschienen in kleinen Verlagen (Echter in Würzburg, Frankonia-Verlag in Wertheim) und sind heute vergriffen. Was schade ist. Eine Neuzusammenstellung seiner Gedichte hätte er verdient. Immerhin findet man in Wertheim auf einer Tafel sein Melusinengedicht, und so wird er in der nächsten Zeit nicht so schnell vergessen sein. Gedichte und Prosatexte sucht man schon seit einigen Jahren in der Tageszeitung vergebens.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

 

Eben ist es auf diesem Bergfriedhof nicht. Man kann so manches Treppchen steigen, muss allerdings keine schweißtreibenden Mühen auf sich nehmen. Überhaupt lohnt es sich, hier und da auf die Grabsteine zu schauen. Autoren, die immer auf der Suche nach Namen für ihre Protagonisten sind, finden auf Friedhöfen ohnehin ein reiches Feld, ganz zu schweigen von den Objekten, die zusätzlich auf, neben und zwischen die Gräber gesetzt wurden.

 

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

 

Etwas weiter oberhalb an einer Mauer finde ich dann das zweite Grab, das ich auf der Liste hatte: Alexander Kaufmann (1817 – 1893), geboren in Bonn, Studium in Berlin und danach Archivar des Fürsten von Löwenstein in Wertheim. Doch er war nicht nur als Archivar, sondern auch als Schriftsteller tätig. Dabei pflegte er Kontakt mit zahlreichen anderen Persönlichkeiten aus Kunst und Wissenschaft, auch mit Georg Friedrich Daumer in Nürnberg, der als Übersetzer des persischen Dichters Hafis (1315 –1390) bekannt geworden war. Eine begabte Schülerin empfahl Daumer den Wertheimer Dichter besonders: Mathilde Binder, die Tochter des ehemaligen Bürgermeisters von Nürnberg. Dass Daumer und Binder auch diejenigen waren, die Kaspar Hauser bei seinem Auftauchen zuerst betreut hatten, sei hier nur am Rande vermerkt. Die Beziehung zwischen dem Archivar und der jungen Frau wurde enger und am 10 Mai 1857 heiratete Kaufmann Mathilde Kunigunde Amalia Caroline Binder und holte sie nach Wertheim. Zu ihrer Zeit war seine Frau als Schriftstellerin sogar erfolgreicher als er, und zwar unter dem Namen Amara George. Sie veröffentlichte vor allem romantische Liebesgedichte und Liebesgeschichten. Nach dem Tode ihres Mannes verließ sie Wertheim und ist folglich auch nicht dort begraben.

 

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

 

Auch von Alexander Kaufmann (und seiner Frau) sind heute keine Bücher mehr zu bekommen, es sei denn im Antiquariat. Von Amara George finden sich aber ausreichend Liebesgedichte im Internet. So etwas hält sich hartnäckig.

Geht man den Bergfriedhof ganz hinauf, kann man hinüber zur Wertheimer Burg sehen. Da es eine prächtige Burgruine ist, lohnt sich dieser »letzte Gang«, bevor man den Bergfriedhof verlässt, auf jeden Fall.

 

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

 Ihr Horst-Dieter Radke

Teilen:

Schreibe einen Kommentar