Der englische »Sir« an der Tauber

Die Wetter-App zeigte eine Regenneigung von 40 % an. Es war schwül draußen, der Himmel wolkenverhangen mit Lücken, die Blau durchließen. Für diesen aprilhaften Mai das passende Wetter. Weiter drinnen zu hocken hatte ich keine Lust, also schnappte ich mir die Kamera und fuhr nach Gamburg. Es gäbe dort das Grab eines Engländers, hatte man mir erzählt. Weil ich nicht mit Regen rechnete, stellte ich das Auto kurz hinter der Brücke an der Tauber ab. Ich schaute nach, ob sich der Wassergeist Hokemo unter der Brücke sehen ließ, aber es war wohl heute kein Wetter für ihn. Nur eine Gans kam auf mich zu geschwommen und meckerte mich an. Gut, wenn ich hier nicht erwünscht war, konnte ich auch gleich wieder gehen. Ich schlug also den Weg in den Ort ein und traf Hokemo dort am Brunnen. Ein Steinmetz hatte nach einem Entwurf von Clemens Buscher (1855-1916) die Brunnensäule gestaltet, auf der Hokemo zu sehen ist, wie er versucht, Kinder ins Wasser zu ziehen. Ich bog beim Brunnen links ab und umrundete den Burgberg bis zum Ortsausgang. Dort liegt der Gamburger Friedhof.

Nach meinen Erkundigungen ist es bereits der dritte Friedhof des kleinen Orts an der Tauber. Der erste um die Kirche herum ist lange schon außer Gebrauch. Den zweiten hatte man ungünstig nahe der Tauber angelegt und musste ihn nach knapp zwei Jahrzehnten wieder aufgeben. Um 1850 wurde dann der dritte am Nordhang des Burgbergs angelegt. Von Gamburg kommend sieht man zunächst die Ehrengräber der im 1. Weltkrieg Gefallenen. Kurz danach ein Tor, das ich öffnete und den Friedhof darüber betrat. Er sieht sauber und gepflegt aus. Neue Gräber rechts und links. Geradeaus aber, etwas erhöht und durch ein Gitter abgegrenzt, fallen alte Grabsteine auf. Ich vermutete das Grab des Engländers dort und fand es auch, ganz links neben den Gräbern verschiedener Gerhardts und Alberts.

 

In Loving Memory of

Sir Joseph Archer Crowe K.C.M.G.C.B.

London Oct. 1825

Gamburg Sept. 1896

Wer war dieser Mann und was brachte Sir Joseph Archer Crowe nach Gamburg? Überraschenderweise fand ich das schnell heraus, nicht nur über die deutsche und englische Wikipedia, sondern auch über Informationen, die sich in Franken erhalten haben.

in memory

 

Joseph Archer Crowe wurde am 25. Oktober 1825 in London geboren. Sein Vater Eyre Evans Crowe war Journalist und Historiker, sein Bruder Eyre Crowe Maler. Auch Joseph Archer schlug diesen Weg zunächst ein, nahm in Paris bei Charles Etienne Brasseur und Paul Delaroche Unterricht. Einige seiner Bilder wandern heute noch durch die Kunstauktionen. Er gab das Malen jedoch zu Gunsten der Schriftstellerei auf. Zunächst schrieb er für diverse Zeitungen. Dann reiste er durch Belgien, Deutschland, Österreich und Norditalien, um vor allem niederländische und italienische Kunst zu studieren. Auf dieser Reise traf er Giovanni Battista Cavalcaselle (1820-1897), der ebenso wie er zunächst Malerei studierte, um sich dann auf Kunstgeschichte zu spezialisieren. Mit diesem schrieb Crowe 1853 in London das Werk »The early Flemish painters«. Geplant war in Folge ein Werk über die italienische Malerei, doch er ließ sich als Zeichner und Korrespondent zunächst in Krisengebiete schicken, was die Zusammenarbeit unterbrach. Von 1853 – 1856 war er in der Türkei und auf der Krim unterwegs. Erst nach seiner Rückkehr erschien im Jahr 1857 das Buch über die flämischen Maler im Druck. Noch im gleichen Jahr ging er nach Bombay. Er hatte sich als Leiter an einer Kunstschule anwerben lassen. Nur zwei Jahre hielt er es dort aus, bevor er Indien aus Gesundheitsgründen den Rücken kehrte. Erneut ließ er sich als Kriegsberichterstatter an die Front schicken, diesmal von der Times in den französisch-italienisch-österreichischen Krieg.

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Im Jahr 1860 ging er endgültig nach Deutschland. Er wurde von der britischen Regierung als Generalkonsul in Leipzig und Düsseldorf eingesetzt. 1861 heiratete er Asta von Barby (1841-1908), die Tochter von Baron Gustav von Barby und Eveline von Ribbentrop in Gotha. Sie bekamen drei Söhne und vier Töchter. Damit ist dann auch die Beziehung zu Gamburg geklärt. Ganz rechts der Grabstein von Carl Gerhardt führt auch dessen Frau Wanda Gerhardt, geb. von Barby auf. Das Geburtsdatum legt nahe, dass es sich um die Schwester von Asta von Barby handelte. Bei seinem Schwager in Gamburg war Crowe oft zu Besuch. Der Aufenthalt in Deutschland hatte auch mit seiner Gesundheit zu tun. Er litt an einem Magenleiden, dass sich im englischen Klima verschlimmerte. Von den Aufenthalten in Gamburg erhoffte er sich Besserung. Auch jagte er im umliegenden Wald gern mit seinem Schwager, der übrigens ebenfalls nicht aus Gamburg stammte, sondern aus Speyer, in Würzburg jedoch studierte hatte (u.a. bei Virchow), dort promovierte und seine erste Stelle als Assistenzart in der Würzburger Poliklinik fand. Crowes Magenleiden jedoch besserte sich in Gamburg nicht. Er lag den ganzen Sommer schwerkrank im unteren Gamburger Schloss und starb dort im September 1896.

sir

 

Crowe schrieb Biografien über Tizian, Raffael und Boticelli, ist aber bis heute für seine Geschichte der italienischen Malerei (History of Painting in Italy) und das bereits erwähnte Buch über niederländische Maler bekannt. Beide Bücher schrieb er zusammen mit Cavalcasselle. Es soll auch Lebenserinnerungen von Crowe geben, die ich aber bislang nicht aufspüren konnte. Die Werke über die altniederländische Malerei und Tizian sind digitalisiert bei der Universität Heidelberg zu finden.

Ich sann auf dem Rückweg darüber nach, was einen künstlerisch und kunsthistorisch interessierten Menschen auf solch abenteuerliche Wege wie die Kriegsberichterstattung führte, wurde aber, ehe ich mich in Spekulationen verspinnen konnte, durch eine Gruppe Gänse abgelenkt, die fotografiert werden wollten. Dann ging ich zurück zum Auto. Der Regen war ausgeblieben, kam auch erst in der Nacht. Vielleicht kehre ich diesen Sommer noch einmal zurück, mit dem Fahrrad, weil der Friedhof günstig an der Strecke Lauda – Wertheim liegt. Über solche eigenartigen, aber interessanten Schicksale kann man am besten an Ort und Stelle – in diesem Fall: am Grab – nachdenken.

gf3

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