Burka von Stefan Schulz

Stefan Schulz wurde 1970 in Jena geboren. Schon als Kind war er Mitglied in der schulischen Arbeitsgemeinschaft »Junge Autoren«, doch geriet die Leidenschaft für das Schreiben dann neben Broterwerb und Musikbegeisterung für einige Jahre ins Hintertreffen. Erst nachdem sein Sohn das Haus verlassen hatte, widmete er sich wieder dem Schreiben – mit einigem Erfolg. 2015 bekam er bei einem Literaturwettbewerb einen Anerkennungspreis für seine Kurzgeschichte »Puderzucker«, 2016 errang er nun mit seiner im Folgenden zu lesenden Geschichte »Burka« den ersten Platz beim Putlitzer Preis. Aktuell arbeitet er an seinem Debütroman.

Burka

Navid wusste viel über die Deutschen, schließlich hatte er ihre Sprache studiert. Aber dass sie sich mitten in der Stadt nackt neben einen Container der Kleiderspende kauern, war ihm neu. Den Kopf zur Seite geneigt, betrachtete er den jungen Mann, der so schlimm zitterte, als wäre Winter. Trotz der späten Stunde schlenderten Menschen durch die Stadt, was die missliche Lage des Hüllenlosen noch verschlimmerte.

»Was tust du da?«

Der Mann sah kurz auf und legte seinen Zeigefinger vor die Lippen. Aus einer Seitenstraße drang das Gebrüll eines anderen Mannes. Schritte hallten durch die Häuserschlucht.

»Wenn der Kerl mich erwischt, schlägt er mich grün und blau.« Verzweifelt sah sich der Nackte um.

»Ah, das kenne ich.« Navid zog sein Hemd ein Stück nach oben und deutete auf seinen vernarbten Bauch. »Meine eigenen Landsleute hätten mich fast zu Tode gefoltert. Allah wies mir den Weg in die Freiheit.«

»Verpiss dich, Kanake!«

Navid betrachtete das Meine Ehre heißt Treue-Tattoo auf dem Unterarm des Mannes. Er zuckte mit den Schultern und öffnete die Klappe des Containers.

»Warte!«, sagte der Entblößte. »Sind in dem Beutel Klamotten drin, die mir passen könnten?«

»Vielleicht.« Er sah zu ihm hinab. »Dazu müsste ich aber erst einschätzen können, wie groß du bist.«

Das Geschrei aus der Seitenstraße wurde immer lauter. Beide Hände vorm Schritt richtete sich der Mann auf. Verlegen betrachtete er seine Füße.

»Perfekt«, sagte Navid. »Du reichst mir ja gerade bis zur Nasenspitze. Aber erst verrätst du mir, warum du nackt bist.«

»Bin beim Fremdgehen erwischt worden und konnte über den Balkon flüchten.«

»Ah ein Flüchtling! Unter diesen Umständen helfe ich dir gern.« Aus seinem Plastebeutel zog er das Kleidungsstück heraus. Sofort musste er an seine Liebste denken. Ihm kamen Zweifel, ob er das Richtige tat. Ob seine Frau das Richtige tat. Sie wollte sich anpassen, hatte sie gesagt, genauso leben wie die anderen Frauen.

Der nackte Mann machte große Augen. »Bist du bescheuert? Ich zieh doch kein Kleid an.«

»Das ist kein Kleid, sondern eine Burka.« Navid schüttelte den blauen Stoff auf. »Darin erkennt dich kein Mensch.«

Ein großgewachsener Mann kam aus der Seitenstraße gestürmt und sah sich um. Der Nackte presste sich rücklings an den Container. Navid reichte ihm das Kleidungsstück. »Wie heißt du überhaupt?«

»Torsten.« Er riss ihm die Burka aus der Hand und schlüpfte ungeschickt hinein. Navid half ihm dabei, den Stoff ordnungsgemäß über den Kopf zu ziehen.

»Alter, ich seh kaum was«, flüsterte Torsten.

Mit beiden Händen zupfte Navid den Sehschlitz zurecht. Obwohl die Straßenlaternen nur ein schwaches Licht abgaben, schimmerten Torstens blaue Augen durch das feingewobene Netz. Hinter sich hörte Navid die Schritte des betrogenen Mannes. Ein wenig schämte er sich dafür, einem Menschen zu helfen, welcher Unrecht begangen hatte.

»Ist hier gerade ein Typ ohne Klamotten vorbeigerannt?«

Navid fuhr herum. »Ja! Er ist dort runter Richtung Bahnhof gelaufen.« Mit der Hand deutete er nach links. »Ganz ehrlich, in Afghanistan würde es so etwas nicht geben.«

»Dann fahr doch wieder dahin, wenn es dir nicht passt.« Der Fremde sah an ihm vorbei zu Torsten. »So ein Kostüm werde ich meiner Alten auch verpassen, damit sie keiner mehr anrührt. Wieso zittert deine Frau so?« Der Kerl rannte weiter.

»Sie hat Angst vor deutschen Männern«, rief ihm Navid hinterher. Als der Mann hinter einer Hausecke verschwunden war, tippte Navid dem verkleideten Torsten an die Schulter. »Soll ich dich vorsichtshalber zu deiner Geliebten begleiten, damit sie dir deine Sachen zurückgeben kann?«

»Dort gehe ich nicht noch einmal hin! Ihr Typ kommt bestimmt gleich zurück.«

»Aber wie willst du ohne Schlüssel zu Hause rein kommen?«

»Ich wohne in einer WG. Lass uns hier verschwinden.« Torsten drängte sich an ihm vorbei und lief die Straße hinauf. Er sah aus wie eine Mensch ärgere dich nicht-Figur.

Nach nur wenigen Schritten hatte Navid ihn eingeholt. »Als meine Frau müsstest du eigentlich hinter mir laufen.«

»Lass deine blöden Scherze!«

»Versuche dich wenigstens etwas femininer zu bewegen. Du fällst sonst auf.« Er lächelte in sich hinein. »Wo hast du denn die untreue Frau kennengelernt?«

»Hatte sie vor ein paar Stunden in einem Café angesprochen.«

»Vor ein paar Stunden?« Navid rieb sich den Nacken. »Gibt es hier viele Frauen, die nach solch kurzer Zeit mit einem Mann schlafen?«

Die Burka schwang Torsten um die Beine. »Wenn man es geschickt anstellt, hat man manchmal Glück. Es sei denn, man wird vom Ehemann gestört.«

»Sie war verheiratet?«

»Ja, Mann!«

Navid fühlte einen leichten Druck im Magen. »Gibst du mir bei dir zu Hause das Kleidungsstück bitte zurück?«

Torsten nickte bloß.

Im Vorübergehen betrachtete Navid ein Schaufenster mit Plastikfrauen dahinter. Sie trugen Bikinis. Mit der flachen Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn. »Woran erkennt man, dass eine verheiratete Frau sich zur Untreue verleiten lassen könnte?«

»Sie lächelt dich an.«

Vor einer Steintreppe, welche rauf zum Markt führte, raffte Torsten die Burka mit beiden Händen ein Stück nach oben. Auf den Stufen hinterließ er feuchte Abdrücke seiner Füße. Navid kratzte sich an der Nase. Seine Frau lächelte ständig, was er bisher als positiv empfunden hatte. Kaum den Gedanken zu Ende gedacht, hörte er hinter sich Schritte.

»Navid!«

Die Stimme erkannte er sofort, wenn auch noch nie so streng gehört. Entgeistert drehte er sich um und sah seiner Frau in die weit aufgerissenen Augen. Ihre Hände hielt sie an den Wangen.

»Das ist …«, stammelte er, »… anders, als du denkst.«

»Wer ist diese Frau?«, fragte sie mit tränenerstickter Stimme. Sie lief auf Torsten zu und versuchte, ihm die Burka vom Leib zu reißen.

»Tu das nicht!« Navid schob sie beiseite. »Darunter steckt ein nackter Mann.«

Erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass man als Flüchtlingshelfer, selbst in Deutschland, durchaus Probleme bekommen konnte.

 

 

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Ein Gedanke zu „Burka von Stefan Schulz“

  1. Wunderbar.Burka oder nicht, immer und überall wurde darüber geschrieben, aber immer mit einem düsteren Duktus. Hier ist etwas zum lächeln zu dem Thema, was manche Gemüter erhitzt. Jetzt haben sie eine schöne Geschichte zu lesen, zu weiter erzählen, vielleicht hilft das.

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