Truth is stranger… Die gute alte Zeit

Kürzlich bekamen wir eine Einladung zu einer Praxiseröffnung. Das ist, für sich genommen, keine Geschichte wert, doch erinnerte mich das wunderbar seriöse Hochglanzbild des Praxisgründers an ‚die gute alte Zeit‘.

Der junge Mann, der im Weiteren Peter genannt werden soll, besaß während des Studiums nämlich vor allem einen großen Ehrgeiz: Nicht eine Party zu verpassen. Es gab Partys, auf die er direkt von der Party des Vortags kam, und nie werde ich vergessen, wie er nach einem etwas außerhalb gelegenen Weinfest nach Hause zu trampen versuchte. Es klappte nicht sehr gut. Erstens gab es morgens um 3 Uhr sowieso nicht viel Verkehr und zweitens wollte natürlich keiner ihn und seine besoffenen Freunde mitnehmen. Für Peter lag es aber nicht daran, vielmehr überzeugte er seine Kumpels kurzerhand davon, dass sie einfach nicht „sexy“ genug wären. Wären sie nur so richtig hot, dann würden die geilen Schlampen einfach nicht anders können, als sie mitzunehmen (nachts um 3 wohlgemerkt). Nach kurzer Beratschlagung gab man Peter recht und es wurden Schritte unternommen, ihren Sexynesslevel zu erhöhen. Das heißt, sie zogen sich aus und marschierten nackt  weiter. Nur die Schuhe, die behielten sie an.

Man kann sagen, dass ihre Aktion ein Erfolg war. Schon nach vielleicht zwanzig Minuten hielt neben ihnen ein Streifenwagen und brachte sie sicher nach Hause. Und weil Peter immer Glück hat –und vielleicht auch weil die Polizisten in Tübingen wirklich viel Verständnis für vieles haben –, beließen die es bei einer scharfen Verwarnung und der Drohung, sie das nächste Mal wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses zu verhaften.

Doch obwohl die Sache noch einmal glimpflich ausgegangen war, machte sich Peter Gedanken und kaufte kurz darauf ein Fahrrad. Es war ein uraltes Damenrad, aber er liebte es sehr und strich es gleich am ersten Tag mit grüner Wandfarbe. Leider hatte auch die Sache mit dem Rad so ihre Tücken, denn zwar schloss Peter es mit für ihn untypischer Konsequenz wirklich immer, immer ab, nur leider vergaß er eben oft, wo er es am Vorabend gelassen hatte. Ständig rief er nun an und fragte, ob man das gute Stück nicht vielleicht irgendwo gesehen hätte, und mehr als einmal erbarmte ich mich und ging mit ihm Suchen.

Wir fanden es jedes Mal, nur einmal, das war schon kurz vor dem Examen, blieb es verschollen. Wir durchkämmten ganz Tübingen, doch von dem Drahtesel fehlte jede Spur. Peters liebevoll gestaltete Flugblatt Aktion „Have u seen this bike?“ blieb ohne jede Reaktion. Zur allgemeinen Verblüffung war das hässliche Ungetüm wohl tatsächlich gestohlen worden. Peter litt und trauerte, doch die Examensprüfungen zwangen ihn bald, seinen Kummer zu vergessen. Er bestand, feierte gebührend, suchte sich eine Assistenzarztstelle und zog aus Tübingen fort.

Das gestohlene Fahrrad geriet in Vergessenheit. Dann jedoch, eines Tages, erhielt Peter einen Anruf von seinem ehemaligen Vermieter. Das Haus sollte kernsaniert werden, aber da war so ein uraltes Fahrrad, das hätte doch Peter gehört?

Es war tatsächlich am einzigen Ort in ganz Tübingen gewesen, an dem wir nicht nachgesehen hatten: im zu seiner Wohnung gehörenden Fahrradkeller.

Aber warum erzähle ich Ihnen das eigentlich? Vielleicht einfach, um Sie an diesem Mittwochabend ein wenig zu unterhalten? Oder vielleicht auch, weil ich weiß, dass “Peter“ zu den regelmäßigen Lesern unseres Blogs zählt und wenn er das hier liest, dann wird er – trotz Praxiseröffnungsstreß – lächeln und ich finde, es gibt keinen schöneren Grund zu schreiben.

Ihre Joan Weng

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