Das stille Haus – Monikas Beitrag

Still steht es da. Und doch scheint es bewohnt. Die Fenster sind klar, die Treppe ist immer gefegt, der Garten sauber, wenn auch nicht akkurat. Der Teich davor mit klarem Wasser, obwohl es ein wenig bräunlich ist.

Und doch. Niemand öffnet, wenn man klingelt. Seit Jahren macht sie es, wenn sie auf seiner Wanderung an diesem Haus vorbeikommt, schon aus Tradition. Auch diesmal. Sie hat sich schon umgewandt und will wieder gehen, weil der Pflicht genüge getan ist, da stutzt Monika, wendet sich noch einmal um.

Die Tür ist offen. Einen Spalt nur, aber vorhin, als sie klingelte, war sie es noch nicht.

Sie staunt über die Kühle, die ihr entgegenschlägt. Angenehm, keine alte Kälte, kein Empfinden nach Moder oder Vergangenem. Obwohl – Letzteres kann sie nicht beurteilen. Monika befindet sich in einem ziemlich großen quadratischen Flur und steht auf einem gelblich-braun gesprenkelten Steinfußboden. Geradeaus und links sind Türen mit Einfassungen, mit kleinen Schnitzereien, wie man sie nur noch in alten Häusern findet. Langsam dreht Monika sich um. Die Haustür ist geschlossen, obwohl sie diese angelehnt hat. Das weiß sie genau. Oder? Nein, sie hat niemanden gesehen oder gehört. Ein wenig seltsam. Und seltsam auch, dass ausgerechnet heute die Tür offen stand, als sie hier vorbei kam. Als sollte sie hineingehen. „Hallo?“, ruft sie. Draußen würde ihr Ruf kräftig sein, hier drinnen verhallt er zittrig, zaghaft. Durch das Glas im oberen Drittel der Haustür kommt Licht herein, Lichtstreifen eher, Lichtflecken, die sie an früher, an die Zeit ihrer Kindheit erinnern. Damals schon liebte sie die Art des Lichts, wie es morgens und am späten Nachmittag in die Häuser drang. Nur das harte Mittagslicht mochte sie nie. „Hallo, ich möchte gern dieses Haus besichtigen!“, ruft sie, mutiger geworden. Vielleicht sind die Bewohner draußen, im Garten, hinten auf der Terrasse, die sie hinter dem Gebäude vermutet. Niemand antwortet.

Macht nichts, ich will ja nichts stehlen.

Rechts von ihr führt eine Treppe nach oben, Stufen mit Abrundungen, mit Stufen aus demselben Stein wie der Boden. Und daneben führen drei Stufen nach unten, verschwinden im Bogen, wahrscheinlich der Gang in die Kellerräume. Unentschlossen blickt Monika nach allen Seiten und will nicht einfach dumm rumstehen. Sie tritt auf die Stufen und geht nach oben. Nach zehn Tritten biegt die Treppe weiter herum, dann steht sie wieder in einer Art Vorraum, recht ist ein kleines Fenster mit doppelten Flügeln, links führt die Treppe weiter nach oben. Das Gefühl der Frische verliert sich hier, die Luft wird schwerer, scheint müde zu sein.

Hier oben dröhnt das Schweigen des Hauses. Und die Luft scheint so dick, dass sie am liebsten dieses Fenster aufreißen möchte. Aber sie traut sich nicht. Denn hinter den Türen müssen doch Menschen wohnen. Nachher stehen sie alle vor ihr und fragen: „Was wollen Sie hier?“ Dennoch, Monikas Neugier ist stärker als die Höflichkeit. Was ist weiter oben? Also steigt sie die nächsten Stufen hinauf. Der Handlauf des Geländers fühlt sich kühl und sanft an, wunderbar gemasertes rötlichbraunes Holz, wie gerade poliert. Bestimmt Kirsche. Mit Hölzern kennt sie sich ein wenig aus. Sicher sind seit weit über einhundert Jahren über diesen Handlauf Hände entlang gestrichen.

Jetzt fühlt ihre Hand anderes. Sie schaut hin. Hier wurde ein anderes Holz eingesetzt, es ist weicher, scheinbar wurde junges Holz benutzt. Sieht nach Ulme aus, mutmaßt sie und überlegt, ob hier oben alles etwas einfacher gehalten ist, weil hier einmal Dienstboten gewohnt haben.

Sie befindet sich im zweiten Stock, eher einem Zwischenstock, der Vorraum ist kleiner, aber Fenster und Türen sind genauso wie im ersten Stockwerk angeordnet. Eine derart stickige Luft schlägt ihr entgegen, dass sie nicht überlegt, sondern wie selbstverständlich zum Fenster geht und es aufreißt. Als sie sich umdreht, stehen vor einer Tür ein Paar Schuhe. Kinderschuhe.

Die standen eben noch nicht da.

Monika starrt darauf. Je länger sie guckt, verändert sich die Umgebung, die Türen haben ein vergilbtes Weiß, der Boden unter ihr zeigt abgetretene Dielen aus Holz und der Vorraum ist größer als eben noch. Die Schuhe sind braun und vorn und an den Seiten abgeschabt. Schnürsenkel haben Knoten. Es sind Schritte zu hören, auch ein glucksendes Lachen und so lacht nur Illa, ihre Freundin, die hinter der Tür mit den Eltern wohnt. Die Schuhe scheinen auf Monika zuzukommen. Es sind meine, staunt sie. Die Schuhe mit dem Salamander darauf. Sicher. Die hatte sie ausgezogen, als sie hinter der Tür war, bei Illas Eltern und nach ihr gefragt hatte. Sie bückt sich, um sie wieder anzuziehen, sie entgleiten ihr. Da dreht sie sich um und will etwas zu Illa sagen, die doch hinter ihr ist.

Ein kräftiger Windstoß fegt durch das offene Fenster, die Schuhe segeln davon, in den Wald, Monika will rufen, und jetzt hört sie nur noch das Klappen der Fensterflügel, der Flur verändert sich im rasenden Strudel, er wird, wie er eben war und als sie sich umdreht, ist dort niemand.

Ihre Monika Detering

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