Reisen und Lesen in Indonesien – Teil 2

In den nächsten Tagen sitze ich oft neben Supono im Auto. Am alten Hafen steige ich auf Schiffe, die den Hafen noch verlassen, was ich kaum glauben kann.

Die Männer, die dort arbeiten, freuen sich ganz offensichtlich über Besuch und lassen sich bereitwillig fotografieren.

Später wandere ich durch die Slums, wo die Leute mich grüßen und oft fragen, woher ich komme. Deutschland. Sie nicken wissend: Weltmeister. Ich muss mir auf die Sprünge helfen lassen: Fußball, ach ja.

Im alten Holländerviertel treffe ich auf eine Schülergruppe, die ihrem Auftrag nachkommt, sich mit Touristen auf Englisch zu unterhalten. Das wird mir noch häufiger passieren und im Laufe meiner Reise werde ich die verstohlen-ängstlich-neugierigen Blicke, die mir zugeworfen werden, schon lange deuten können, bevor sich einer ein Herz fasst und fragt, ob ich etwas Zeit für ein Gespräch habe. Manchmal sind die Gespräche interessant, so wie an diesem Tag, als mir der Teenager von seinem Traum erzählt, Dichter und Songwriter zu werden. Ich bin Autorin, sage ich und er strahlt: Wir sind Kollegen, sozusagen.

Ich sehe viele Katzen mit abgeknickten Schwänzen – das macht man hier, weil in den Katzen Geister stecken, die dann nicht herauskönnen. Sonne sehe ich nicht, denn die schafft es einfach nicht durch den Smog. Deshalb ist es immer ein wenig dämmerig in Jakarta. Nachmittags wird es noch dunkler und für etwa eine Stunde kracht und blitzt der Himmel und schüttet Wasser wie aus Kübeln über die Stadt. Wenigstens ist die Luft danach etwas frischer; für den Verkehr ist das Gewitter jedoch eine Katastrophe, denn es bedeutet, dass die Roller nicht mehr fahren und folglich noch mehr Autos unterwegs sind.
Abends lassen Daniel und ich uns auf Rollern durch die Stadt kutschieren; wir besuchen eine Bar im 58. Stockwerk eines Hochhauses, in dem sich die Jakartaer Mittelschicht trifft und ein paar Expats ihren Feierabenddrink genießen – Touristen gibt es hier nur wenige. Von der Dachterrasse aus können wir über die ganze Stadt schauen, ein Lichtermeer, das nirgends zu Ende geht. Jakarta allein hat 10 Millionen Einwohner, Greater Jakarta gar 30 Millionen.
Mit Yani, der Haushälterin, besuche ich einen Lebensmittelmarkt und einen Stoffmarkt. Ich bin kurz verunsichert, weil ich im kurzen Rock unterwegs bin und die Frauen hier meist Kopftuch und lange Gewänder tragen. Aber sie werfen mir hauptsächlich neugierig-freundliche Blick und oft auch ein Lächeln zu.

Überall schlafen Menschen: an den leer gekauften Marktständen, auf Baustellen, einmal sogar eine Frau auf einer Bank neben einer sechsspurigen Straße.

Ich verstehe das – auch mich ermüdet die schiere Masse von Menschen und Autos und Lärm. Den dazu passenden Satz lese ich in einem Reiseführer zu Jakarta – „Jakarta, 25 Excursions in and around the Indonesian Capital“. Andrew Whitmarsh beschreibt zunächst seine Kindheit im wilden Westen der USA, umgeben von Natur. „Dann zog ich nach Jakarta. Mein erster Gedanke dort war, dass ich gestorben und in der Hölle gelandet war. Die Häuser waren zu hoch, die Leute zu viele, die Autos zu schmutzig und die Stadt zu heiß.“ Ich verstehe ganz genau, was er meint und bleibe einen Tag lang einfach nur zu Hause, setze mich auf die Terrasse, die mich mit Mauern und Pflanzen vom Gewusel der Stadt abschirmt und lese „Abschied von Jakarta“ von Thomas Prinz. Nach nur vier Tagen in der Fremde sehne ich mich nach einem kulturellen Kontakt zu Europa und sei es in Form eines Krimis. Dessen Heldin Charlotte Valentin arbeitet für die Deutsche Botschaft und wird in eine Geschichte von Korruption und Mord hineingezogen. Das Buch entspricht meinen Lesegewohnheiten und fängt ein bisschen Jakarta-Stimmung ein; gerade so viel, wie ich nach vier Tagen echtem Jakarta vertragen kann.

Am nächsten Tag verlasse ich die Hauptstadt. Meine Reiseplanung habe ich weitgehend Daniel überlassen und der schickt mich nach Yogyakarta (kurz: Yogya), ein Muss für Java-Besucher. Es gibt dort einen Sultanspalast, in dem bis heute der Sultan von Yogyakarta wohnt und einen Wasserpalast, der viel romantischer ist, wahrscheinlich, weil er nicht mehr genutzt wird. Viele Künstler haben sich in Yogya angesiedelt und außerdem sind ganz in der Nähe die Tempel von Prambanan und Borobodur, die beide zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören. Wenn ich zurückkomme, werden wir zu dritt noch eine gemeinsame Reise unternehmen, deren Ziel eine Überraschung für mich sein soll. Es bereitet Daniel sichtlich Freude, auf meine wiederholten Fragen nach dieser Reise mit einem strahlenden Kopfschütteln zu antworten: „Das wird noch nicht verraten.“ Also übe ich mich in Geduld und fahre erst einmal nach Yogya.

Davon erfahren Sie morgen.
Ihre Dorrit Bartel

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