Osterlektüre für Kinder oder zeitlose Klassiker

Der Fünfjährige meines Vertrauens ist, offen gestanden, kein großer Leser – er hat es mehr mit Fußball, außerdem ist er ein Pirat und manchmal auch ein Superheld. Wenn ich ihm dennoch vorlese, dann „Herr Eichhorn und der erste Schnee“ und wehe ich weiche vom vorgegebenen Text ab, dann kneift er und er kneift keineswegs sanft! Die Geschichte ist rasch erzählt: Herr Eichhorn ärgert sich, dass er Jahr für Jahr den Schnee verschläft und zusammen mit seinem Freund, dem Igel, sowie dem durch das Gelärme der beiden Chaoten wachgehaltenen Bären, macht er sich auf, den Schnee zu finden. Alles Mögliche halten sie dabei für Schnee: eine Sportsocke, eine weggeworfene Zahnbürste, etc. etc. und am Ende – Überraschung, Überraschung, wer hätt’s gedacht! – fängt es doch plötzlich an zu schneien. Die Geschichte ist süß und süß bebildert, allerdings verliert sie – wie so Vieles im Leben – etwas an Reiz, wenn man sie zum 3665675. mal vorliest.
Nun schlug ich kürzlich vor, wegen der Osterzeit, vielleicht mal etwas anderes zu lesen: die Häschenschule zum Beispiel oder wenigstens das frühlingshafte „Herr Eichhorn weiß den Weg zum Glück“. Die Antwort war eine zitternde Unterlippe, panisch geweitete Augen gab es gratis dazu – wie jeder große Fußballer beherrscht auch er das schmerzverzerrte Gesicht aus dem Stand. Ich aber blieb fest: „Herr Eichhorn und der erste Schnee“ handelt vom Schnee, im März schneit es nicht mehr und somit ist die Lektüre für die Jahreszeit ungeeignet.
Der Fünfjährige meines Vertrauens gab sich geschlagen, wir gingen in den örtlichen Osiander, ich durfte ihn sogar an der Hand halten, was ich als Zeichen bedingungsloser Kapitulation ansah.
Es gibt so reizende Kinderbücher zu Ostern, die Ostergeschichte (ganz ohne Hasen, dafür mit Jesus) herrlich illustriert, zum Beispiel, von Regine Schindler, dann natürlich die Häschenschule, ein Klassiker, und absolut unwiderstehlich Beatrix Potters frecher Peter Hase samt seinem etwas klügeren Vetter Benjamin Kaninchen. Aber auch Bob der Baumeister trägt seinen Teil zu Ostern bei und, nicht zu vergessen, all die wunderbaren Loewe Ostervorlesebücher. Wir kauften schließlich Peter Hase und ich war ungefähr fünf Minuten sehr glücklich bei der Vorstellung, nie wieder den ollen Herrn Eichhorn vorlesen zu müssen, dann jedoch verließen wir den Laden: draußen hatte es geschneit!

Zum ersten und einzigen Mal in diesem Winter lag in Tübingen Schnee! Sechs Wochen vor Ostern!

Schlagartig wurde meine Hand fallengelassen, der Himmel selbst hatte den Beweis angetreten: „Herr Eichhorn und der verdammte Schnee“ war auch noch im März hochaktuell! Wir sind dann nach Hause gegangen, haben uns Kaba gekocht und weil ich so niedergeschlagen aussah, wurde diesmal mir vorgelesen. Ich durfte wählen: „Herr Eichhorn und der erste Schnee“ oder „Herr Eichhorn und der erste Schnee.“
Die Entscheidung fiel mir schwer …

Ihre Joan Weng

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