2. Advent: Eine Weihnachtsgeschichte

Das weiche Geschenk

von

Jürgen Block

„Himmel!“ Bald ist es wieder so weit, Bescherung – und ich stehe mit Soraya vor dem Tannenbaum, „Vom Himmel hoch“ singend und ganz nebenbei abcheckend, was für Geschenke unterm Baum auf mich warten. Mit den Jahren hat man ja gelernt, vom Äußeren auf die inneren Werte zu schließen.

Grob gesagt gibt es in der Welt der Geschenke zwei Kategorien: A) Sachen, die cool sind, und B) Kleidung und Bettwäsche. Für mich gehörten früher zu A) Matchbox-Autos und Legosteine, heute eher Bücher und CDs, zu B) Jacke und Hose, die mir bis heute Jacke wie Hose sind. Die Dinge sind leicht auseinanderzuhalten, die Burner sind von harter, die Abturner von weicher Konsistenz.

Voilá, gerade in der Mitte der ersten Strophe bei „gute Mär“ angekommen, und schon können die ersten Hypothesen über die Qualität der Geschenke getroffen werden. Kinderleicht, anhand der Oberflächenspannung des Einwickelpapiers den Härtegrad der Geschenke zu bestimmen. A) Spielsachen waren in der Regel glatt, B) Textilien zerknittert. So kann die erste Zwischenbilanz zum Verhältnis von A) und B) in diesen Weihnachten gezogen werden.

Zweites Kriterium, eng mit dem ersten verbunden: Puzzles und Revell-Flugzeugbausätze befanden sich in rechtwinkligen, der altägyptischen Mastaba nachempfundenen, festen Paketen, während Strümpfe und Unterhosen nie in eine stabile orthogonale Form zu zwingen waren. So können die Augen anhand der Form schon den Inhalt sehen, These: Das Denken findet nicht im Hirn statt, sondern schon in den Sinnen.

Nach diesen Präluminarien (zwischen „Kindlein“ und „Jungfrau“) ging es nun daran, sich die Reihenfolge des Paketaufreißens zu überlegen. Auch hier gilt: das Beste zum Schluss, also von weich zu hart zu megageil.

Mit den Jahren allerdings differenzierten sich die Kategorien weiter aus, Größe und Format gewannen an Gewicht. Bis zum 14. Geburtstag konnte man blind auf das größte harte Geschenk wetten: Carrera-Bahn, Fahrrad, Märklin Starter-Set. Aber danach verlor die Hardware an Boden, während coole T- und Sweat-Shirts in die erste Liga aufstiegen. Außerdem durften die Geschenke wieder kleiner werden, LPs im Quadrat-Format von mittlerer Härte rückten in die Poleposition.

Damals (wir reden von den siebziger und achtziger Jahren) war die Musik noch mit bloßen Händen zu greifen und am Rillenlauf zu verfolgen, sie spiegelte sich in der Schallplatte sinnlich wider. Danach verflüchtigte sich der Musikträger zu gebrannten Rohlingen, heute zum Endlos-Stream, der die Schädelnerven mitschwingen lässt und den Kopf zur Endstufe macht.

Ich bin und bleibe ein Fan von CDs und ihrem sinnlichen Artwork, unverwechselbar in der Größe einer quadratischen Schokolade. Einmal hat Soraya mich reingelegt. Statt der erwarteten „La Transfiguration de Notre Seigneur“ von Olivier Messiaen entpuppte sich das CD-formatige Geschenk als „Dunkle Voll-Nuss“. Diese Lektion führte glücklicherweise die Belohnung gleich mit sich.

(Wir sind jetzt ungefähr bei „Ein Kindelein, so zart und fein“.)

Ja, die Wörter selbst beginnen den Aggregatzustand des Dinges anzunehmen, dessen lautlicher Ausdruck sie sind: „Matchbox“: ein Wort mit zwei aufeinandertreffenden Hebungen, wie der Zusammenstoß von Polizeiauto und Porsche Carrera, während „Pullunder“ und „Kniebundhosen“ wie lauwarmes Öl in das eine Ohr reinlaufen und zum anderen wieder hinaus. So schleust sich die Welt der verschiedenen Weihnachtsgeschenke durch die Sinne in den einen Schädel.

These für die Zeit zwischen den Jahren: Alles Philosophieren muss in den Sinnen beginnen.

Dachte ich, bis letzte Weihnachten. Da glaubt man, alles schon erlebt zu haben, und dann dieser Schlag ins Kontor. Wir standen also wie die Weihnachtsengel da, singend und mit glänzenden Augen, längst bei „Freud und Wonne“ angekommen, ich im Geiste schon alles sortiert, bis auf dieses eine Paket, eindeutig zu den Weichteilen gehörend, aber was zum Teufel steckt in dem Rudolph-red-nose-Geschenkpapier? Größer als Boxer-Shorts, kleiner als Schlafanzug, ich schwankte zwischen Skylla und Charybdis.

„Herr!“ Ich überlegte fieberhaft, war mir in der hektischen Vorweihnachtszeit ein Wort rausgerutscht, das man mir als Wunsch hätte auslegen können? Doch nicht etwa ein Bademantel, über den ich bei Karstadt einen blöden Witz machte. Soraya hat komisch geguckt, als wenn sie sich etwas merken wollte. „Christ!“ Alle Welt weiß, ich hasse Bademäntel, weil immer der Gürtel aufgeht und man sich sein Y-Chromosom verkühlt.

Oder, nein, ist das ein Saunahandtuch? Soraya hatte doch mal auf diese Seite mit der Hessen-Therme geguckt, „Gott!“, sie hat womöglich einen Wellnessurlaub in Kassel gebucht, wo man den ganzen lieben Tag auf der Massagebank oder im Moorbad liegen, im Storchengang kneippen oder in der Dampfsauna sitzen muss, sodass einem ständig die Brille beschlägt. Und die größte „aller Not“: alles ohne einen Fetzen Software am Leib.

Oder eine lustige Grillschürze für Männer, Soraya mokiert sich immer über mein Grillen bei Schnee und Regen unterm Sonnenschirm. Oder, „Heiland“, ein Trenchcoat: Schau mir in die Augen, Soraya! Wie komme ich aus dieser Nummer wieder raus? Gleich ist das Lied zu Ende und ich brauche einen Plan. Ich werde einfach, „von allen Sünden“, ganz harmlos als erstes nach diesem weichen, scheinbar megaweichen Geschenk greifen, und dann … „rein“.

Ende.

Ich reiße es auf und es ist – was Schwarzes – Zartes – Durchsichtiges –

Soraya: „Ups, das ist wohl meins.“

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