3,5 Leseempfehlungen für die Sommerfrische

Vor einiger Zeit saß ich mit meiner Großmutter auf deren Balkon und aß Eis – das heißt, ich aß Eis, und sie verzehrte eine trockene Reiswaffel, des Erhalts ihrer schlanken Figur wegen. Ihr erzählte ihr, dass ich beabsichtigte, einen Artikel über mein Lieblingssommerbuch zu verfassen und wohl John Berendts „Mitternacht im Garten von Gut und Böse“ nehmen würde. Ein amüsanter Kriminalroman, mit seinen eindringlichen Schilderungen des sommerlichen Savannahs wie geschaffen für heiße Tage. Dabei gespickt mit skurrilen Gestalten und einem ebenso charmanten, wie (vielleicht) vollkommen amoralischen Mörder. Und das Opfer erst, ein faszinierendes Scheusal, bekannt als der knackigste Po von ganz Savannah. Spannend, informativ und dabei noch gut lesbar geschrieben. Wer sollte diesem Buch widerstehen können?

Ganz eindeutig meine Großmutter, denn während ich sprach, wurde ihr Mund schmaler und schmaler. Ich wurde leiser und leiser, bis ich schließlich ganz verstummte.

„Blödsinn“, sagte sie. Das sei doch kein Sommerlesetipp, das sei vielleicht ein nettes Büchlein, mehr nicht. Was solle das überhaupt sein – ein Sommerlesetipp? Wenn, dann doch bitte wenigstens eine Leseempfehlung für die Sommerfrische (meine Großmutter sagt tatsächlich noch Sommerfrische und im Übrigen auch Schulschwof, wenn sie Schuldisko meint…).

Sie persönlich würde da ja sowieso keinen Krimi nehmen. Krimis lese man im Herbst. Sie würde vielmehr zu Elizabeth von Arnims „Verzauberter April“ raten. Das war mal ein Buch für den Strand oder den Balkon! Ein malerisches Castello, das Rauschen des Meeres, die 20er Jahre in Italien – und das ganz ohne Erwähnung des Duce und derartiger die Romantik doch nur beeinträchtigende Geschmacklosigkeiten. Dazu Liebe, Humor, weibliche Selbstfindung und Frauenfreundschaft – geschrieben von einer, die sich zumindest auf das Verlieben verstand und mit ihren Affären die skandalerprobte Londoner Gesellschaft der 20er Jahre ein ums andere Mal an den Rande des Infarkts trieb.

Jetzt war es an mir, schmale Lippen zu bekommen – den Trick beherrschen wir beide auf das Vollkommenste. Also „Verzauberter April“ im August, das ging doch nun wirklich nicht! Und überhaupt, wenn Elizabeth von Arnim, dann „Die Reisegesellschaft“: ein herrlich leichtfüßiger Roman um einen preußischen Junker, der auf Drängen seiner Gattin seine schöne, kühle Wohnung (samt beschaulichem Blick auf den Friedhof) verlässt und genötigt wird, den Härten des englischen Landlebens in der viktorianischen Version eines Wohnwagens ins Auge zu sehen.

Auch hier geht es um die Liebe und all ihre Tücken, sei es die eheliche, die außereheliche oder die zur Natur – das Ganze erzählt mit mal bissigem, mal zärtlichem Humor und einem in seiner deutschen Spießigkeit unglaublich liebenswerten Antihelden,.

Dass dieser steife, sich täglich um die Bräune seiner Würstchen sorgende Junker dem ersten Mann der Autorin nachempfunden sein soll, ist nur ein weiterer Grund, diesen in jeder Hinsicht bezaubernden Roman zu lesen. Zumindest meiner Meinung nach wurde der wilhelminische Untertan mit all seinen Ängsten, Nöten aber auch Tugenden nie wieder so vollkommen abgebildet wie hier – Heinrich Mann mag den Begriff für den Typus geprägt haben, literarisch eingefangen hat ihn Elizabeth von Arnim.

Darauf fiel meiner Großmutter ganz eindeutig erst einmal nichts mehr ein. Sie nickte, dann griff sie über den Tisch nach meiner Hand und konstatierte: „Also, wenn ich ganz ehrlich sein soll, meine Lieblingssommerromane sind eigentlich deine, und zwar alle drei!“

Ach, ich weiß schon, warum ich meine Oma und ihr objektives Urteil so mag…

Ihre Joan Weng

 

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