42er: Keiner schreibt allein!

Im Leben eines jeden Schreibers gibt es diesen Punkt, an dem man Ernst macht. An dem man beschließt, von nun an nicht mehr nur für sich selbst und vielleicht noch den Partner, für Tante Frida und die nähere Verwandtschaft zu schreiben. Man hat den Punkt erreicht, an dem man für ein breiteres Publikum schreiben will. Man wagt sich aus der Isolation seines stillen oder weniger stillen Kämmerchens, denkt: So schlecht sind meine Texte jetzt nicht mehr. Zweifelt. Wirklich nicht? Wenn es für Tante Frida reicht, reicht es dann auch für alle deutschsprachigen Tante Fridas der Welt? Die Frage muss beantwortet werden, dessen ist man gewillt. Man will jetzt wissen, ob man so weit ist. Und alle, die sich an diesem Punkt befinden, ahnen es auch bereits: Jetzt hilft nur ein unabhängiges Urteil. Denn der Zweifel bleibt: Hängt Tante Fridas Lob ursächlich mit der Tatsache zusammen, dass sie einfach nicht vergessen kann, wie ich mit fünf Jahren eine Tulpe aus dem Stadtpark geklaut habe, um sie ihr beim Sonntagsbesuch zu überreichen? Will sie mir nicht wehtun, weil ich der Sohn ihrer einzigen Schwester bin? Tja, gute Frage. Wer eine Antwort haben will, benötigt geschulte Leser, die sich mit dem Text befassen und nicht mit dem Autor.

Um diesen Schritt zu gehen, braucht man eine gehörige Portion Mut, denn es steht viel auf dem Spiel. Werden meine liebgewonnenen Geschichten gute Kritiken bekommen? Falls nicht, werde ich das Gemetzel überstehen? Werde ich ausgelacht? Was sind das überhaupt für Leute, denen ich meine Herzenstexte überlasse?

Solche oder ähnliche Fragen treiben unseren Schreiber um, und wir können nur hoffen, dass er es schafft, sich von seinem eigenen Produkt zu distanzieren und echte Kritik einzuholen. Und zu lernen. Die wenigsten – ok, seien wir ehrlich, niemand – wird als fertiger Autor geboren. Schreibhandwerk kann und muss man erlernen. Auf den ersten Schritt sollten weitere folgen, denn einen fertigen Schriftsteller gibt es ebenso wenig wie einen fertigen Text. Und da kommen wir ins Spiel – die 42er.

Im wöchentlichen Turnus kann man in den Räumlichkeiten unseres virtuellen Vereinsheims Texte zur Besprechung vorlegen. Diese Räumlichkeiten sind ein geschützter Bereich, zu dem die Öffentlichkeit keinen Zutritt hat. In der „BT-Runde“ (BesprechungsText-Runde) kann jeder freigeschaltete Teilnehmer Kommentare, Verbesserungsvorschläge, Lob und alle Arten von sonstigen Anmerkungen einstellen. In aller Regel entspinnt sich eine Diskussion um den Text, bei der es auch bis ins Detail geht und sich mitunter hitzige Wortgefechte ereignen. Die Kritiken haben eines gemeinsam und das ausnahmslos: Sie drehen sich einzig und allein um den eingestellten BT. Manche der Texte holen Preise bei Wettbewerben. Manche landen für immer in der Schublade. Und manche werden Teile von Romanen. Sie alle haben von der Kritik durch eine äußerst bunt gemischte Leserschaft – die ausnahmslos selbst schreibt profitiert, im Idealfall folgen Überarbeitungen, die erneut eingestellt werden. Was die BT-Runde der 42er eint, ist die Überzeugung, dass ehrliche und offene Kritik des Textes (und nicht des Autors) das Wichtigste ist, was ein Schreibender benötigt. Diese ist das Anliegen der BTs. Es geht nicht darum, zu entscheiden „Du kannst es, du kannst es leider nicht, such dir lieber ein anderes Hobby Stricken zum Beispiel!“

Die Diskussion passt sich dem Niveau des Textes an, das geschieht ganz automatisch; die Teilnehmer sind Autoren uud Autorinnen auf allen Erfahrungsstufen, alte Hasen und Häsinnen helfen jungen Hüpfern auf die Sprünge. Neulinge können sich an fundierter Kritik schulen, und das nicht nur an den eigenen Texten, sondern auch als Beobachter. Ich selbst habe mir bei meinem ersten Besprechungstext beinahe in die Hose gemacht, als mir bewusst wurde, dass meine Texte hier von Leuten besprochen werden, die seit Jahren und Jahrzehnten Romane vorlegen, zum Teil ausschließlich davon leben, zu veröffentlichen. Ich war mir sicher, dass meine Texte die schlechtesten auf diesem Planeten sind. Vielleicht waren sie das sogar. Aber auch diese Leute haben mal klein angefangen, letzten Endes kochen wir alle nur mit Wasser. Wir reihen Buchstaben und Leerzeichen aneinander und vielleicht entsteht dabei eine lesenswerte Geschichte. Die BTs können helfen, aus vielen ganz kleinen Schritten nach irgendwo viele mittelgroße in die richtige Richtung zu machen. Wer ein ehrliches und offenes Urteil sucht und an seinen Texten arbeiten will, der ist bei den 42ern richtig.

Ihr Christoph Junghölter

Teilen:

Schreibe einen Kommentar