42er-Lesung im „Lofft Theater“ Leipzig

 Liebe Lesende!

Ich begrüße Sie aufs sportlichste zur heutigen Lesung im Rahmen der Meisterschaft „Leipzig liest“. Austragungsort ist das hübsche „Lofft Theater“. Die Literaturfreunde mussten sich einem harten Auswahlverfahren unterziehen, weshalb es lediglich fünfzehn ins Publikum schafften. Dutzende Andere haben sich an diesem Frühlingsabend mit Alltagstheater („The daily Shakespeare“) zu begnügen. Vielleicht hat auch ein Fehler in Programmheft und Internet zur Exquisität des Auditoriums beigetragen.

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Horst-Dieter Radke moderiert in beklemmend trockenem Realismus an. Raffinierte Strategie, um den Getränkekonsum anzuheizen. Das Publikum lässt sich davon nicht weiter reduzieren, was das Selektionsverfahren bestätigt. Tom Liehr übernimmt schneidig und reicht aus Gründen, die er für sich behält, das Steuer zurück an Radke.

Horst-Dieter Radke möchte bei der Zuhörerschaft mit blauem Hemdkragen unter anthrazitem  Pullover punkten. Textlich setzt er zu Beginn des verschnörkelt betitelten Programms („Faust in 3D – oder wer hält denn da eine Hand auf?“) auf soliden Satzbau und Pointen so schnurgerade wie fachmännisch dargereichte Fausschläge. Seine Lamentos über das Autorenleben trägt er mit Intonation vor. Vom Thema des mörderischen Anschreibens gegen die Erfolglosigkeit wechselt er zum Genre der erfolgreich ausgeführten Tötung: Krimi. Es folgt eine Szene aus dem letzten von drei Bänden (mit Monika Detering), angesiedelt in den grauen 1950er-Jahren, gebaut aus kleinbürgerlicher Handlung und garniert mit dem Verzehr von Kartoffelklößen und Sauerkraut. Mit leerem Mund liest Radke Vollmundiges. Nach wenigen Minuten übergibt er mit professionell gespielter schlechter Laune an …OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Tom Liehr. Liehr lenkt anfangs davon ab, dass er sich vor der Lesung die Spitzen des offenen Haars über dem schwarzen Jacket hat schneiden lassen, indem er ein Foto vom Publikum macht. Dabei bringt er die Information, dass sein vorletzter Roman „Leichtmatrosen“ gerade verfilmt wird, nicht in einem Nebensatz unter. In dem finster beleuchteten Theater erzählt er, weil er ach so „schlecht liest“, über ein Kapitel aus dem aktuellen Werk „Nachttankstelle“. Mit der Attitüde des Teufels verspricht er eine „mephistophelische Komponente“. Dann liest er, Überraschung!, doch. Während Liehr auf dem Sessel die schmalen Lippen zu Wortkreationen wie „Ikea-Punk“ formt, lässt er den großen Fuß des linken Beins lässig über dem Oberschenkel des linken baumeln. Zwischen den fachgerecht geformten Sätzen findet er Zeit, um sich der weiteren Anwesenheit des Publikums zu versichern. Wie Radke hat er Kulinarisches zu bieten, allerdings in Gestalt der unessbaren schwedischen Spezialität Surströmming. Er hält Wörter, die so falsch geschrieben sind, dass sie sich einer Aussprache entziehen, auf A4-Blättern ins Publikum. Inhaltlich geht es um Schlagermusik-Konzerte des Romanhelden Uwe Fiedler, die im Stile der Gattung Punk vorgetragen werden. Größer Hit: „Schneewalzer“. Der Chronist spitzt seine Ohren, aber hört das Wort „Koks“ nicht. Nach glaubwürdig geheuchelter Verwirrung, was denn der nächste Text sei, übergibt er an sich selbst, diesmal am Pult statt auf dem Sessel, um Susanne Konrad anzukündigen.OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Susanne Konrad parliert in maßvoll vorwärtsdrängenden Sätzen vom Schreiben, von Seminaren, die zu Selbigem befähigen sollen, von Lampenfieber, Heiserkeit und ihren Weg zu den 42er-Autoren. Ihr Publikationshaus heißt Größenwahn-Verlag. Im zum Vortrag gebrachten Text geht es um eine Doktorandin, um Mimik und Sophismus. Dabei ist die Wortwahl wohltuend bodenständig. Der Dialog, den sie vorträgt, gibt nicht, wie sonst in Texten üblich, vor, dass er den erhobenen Zeigefinger aussparen würde. Erklärungen sichern das Textverständnis des Auditoriums. Besonderes Lob: Sie spricht das z in Nietzsche aus.

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Es tritt Sören Prescher nach vorne, aber nur um mit Rhetorik Amos Ruwwe das Feld zu bereiten. Endlich ein richtiger Märchenerzähler an diesem Abend! Als solcher braucht Ruwwe als einziger kein Textblatt zum Ablesen. Allerdings beginnt er seinen Auftritt, indem er einen doppelseitigen Wok („Hang“) filigran bespielt. Dabei treten sein professioneller Rauschebart und die Holzperlenkette, die er auf einem blauen Samthemd trägt, bedenklich in den Hintergrund. So fein, wie noch eben die Töne durch den Raum schwangen, so sanft breiten sich nun die Amplituden seiner Worte durch den Raum aus. Der Magier aus Ruwwes Märchen indes stiehlt sich allenthalben Töne zusammen, hinterlässt, wo immer er zugange ist, akustisches Vakuum, und schafft es durch Zauberei, die entwendeten Töne zu konservieren und zu reproduzieren. Problem: Die Schalleinheiten müssen sich zu harmonischer Musik versammeln. Dem schulmäßig konstruierten Märchen fehlt am Ende freilich die Moral nicht, und meditative Wokmusik schließt den audiovisuellen Kreis zum Anfang.

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Horst-Dieter Radke versammelt abermals Worte, aber diesmal, um Sören Prescher anzukündigen. Dieser schenkt sich bereits das zweite Glas Wasser ein. Programm für „Raststopp“, den Thriller, aus dem er vorliest. Bewährtes Vokabular erdet die in angenehmer Stimme dargebotene Satzfolge. Ein Eindruck, der von dem mittelgroß karierten Hemd unterstrichen wird, mit dem er das Publikum beeindrucken will. Inhaltlich dürfen normale Menschen die Ungewöhnlichkeit einer Schlägerei erleben. Dumpfe Rippenschläge kontrastieren raffiniert mit Preschers feiner Intonation. Doch mit zunehmender Brisanz der Handlung: Herzschlag, Fesselung, Fahndung und Verwirrung schwingt sich seine Stimme zu Dramaturgie empor. Extrapointe: Nach vielen Worten bleibt das zweite Glas Wasser voll. Dafür übergibt er höchstselbst an Siegfried König. Das Publikum bestätigt die eigene Qualität durch die Nachfrage, welche Kurse selbiger König in seiner Eigenschaft als professioneller Philosoph gebe.

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Siegfried König aus Nürnberg verfügt über das am schönsten rollende R zwischen Oberfranken und Unterfranken. Als wäre dies nicht genug, kündigt der Philisophie-Fuchs eine Geschichte um Arbeitslosigkeit, Kneiperie und vielleicht gar nicht existierende Figuren an. Der Romantext des existenzialismus-firmen Autors bedient sich einer dem Ich-Erzähler kognitiv überlegenen Figur und Dialogen im hörerfreundlichen Pingpong-Stil. Wortwiederholungen verstärken die Bedeutung, und das Wissen des Publikums kommt zwischen Verschwörungstheorien, vieldrehendem Joghurt und angezündeten Fotos aus ansonsten kaum erinnerten Zeiten zur Geltung. Königs Text funktioniert auf multiplen Ebenen, z.B. dem Spiel mit der vorwitzigen Lesererwartung. Stilistisches Augenzwinkern: Während er die Vokabel „Krawattenpflicht“ wiederholt, überzeugt sein Hemd durch umbinderfreie Schlichtheit.

Nun ist aus Gründen wieder Tom Liehr dran. Er bezeichnet das bevorstehende Ende der Lesung als dessen „Höhepunkt“. Unvermittelt zeichnet er ein Paradies aus Ölscheichs, Ferraris, 72 Jungfrauen und Schriftstellertum. Als Topautor weiß er im nächsten Augenblick diese Paradiesvorstellung gleich wieder zu brechen. Das Publikum landet so auf dem Boden der Realität. Originellerweise hält er erst jetzt genau die Ansprache, die normalerweise eine Lesung eröffnet.

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Der Höhepunkt schließlich heißt Dorrit Bartel. Mit Bedacht vermeidet Bartel die Begrüßung „hallo Leipzig“, die eine halbe Million weniger literaturbeflissenerer Stadtbewohner ausschließen würde. Wir hören das Finale ihres Erstromans „Eingeschränktes Vertrauen“. Hauptsätze reihen sich aneinander wie die Häuser in den Straßen, in denen der Roman spielt. Die Innenansichten der Protagonistin Gabriela spiegeln sich in Schlaglichtern einer maßvoll beleuchteten Großstadt. Die Reflektionen um Lügen, Eifersucht, innerem Monolog, Konfliktaustragung und Mordabsichten tun ihr Übriges. Lakonie kleidet ihren Schreibstil. Dazu trägt Bartel ein Kleid mit grauen Blumen, korrigiere: Eulen, auf schwarzem Untergrund, in den sich untenraus kräftiges Rot mischt. Den Autor dieser Beschreibung wird sie vermutlich bei Lektüre für diese Wortwahl kräftig schelten. Wie keinem ihrer Vorredner gelingt es ihr, das Kopfkino im Leser anzuschalten. Es handelt sich um einen Film, den man nach langer Partynacht um vier Uhr morgens ansieht. Ein sanftes Danke beschließt ihren Auftritt. Das Publikum schlägt die Hände zu Applaus zusammen.

Horst-Dieter Radke wirft das Auditorium nun wirklich raus, wo er eingangs nur so getan hatte. Die Zuhörerschaft verzichtet darauf, sich durch Unverständnis ausdrückende Nachfragen nachträglich zu disqualifizieren. Tom Liehr verkauft drei Bücher, Sören Prescher eines – an Tom Liehr (und umgekehrt).

Der Autor entschuldigt sich vorsorglich für den von ihm gewählten Stil, der ungewolltermaßen an Sybille Bergs Gästevorstellung in „Böhmermann und Schulz“ angelehnt ist, dabei aber die Komponente der Qualität außen vor lässt. Sachdienliche Information: Dabei hat er einen halben Liter Hausmarken-Bier getrunken.

Mit schreibendem Gruß:

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Michael Höfler i.A. der „Selbsthilfegruppe“ (Liehr) 42er-Autoren

Bilder von Horst-Dieter Radke

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3 Gedanken zu „42er-Lesung im „Lofft Theater“ Leipzig“

  1. VIelen Dank Michael für diesen umfangreichen Bericht zur Lesung im LOFFT. Nun sitze ich wieder zuhause in meinem Büro. Meine Frau freut sich, jetzt kann sie wieder das Essen gewohnt zubereiten, der Wok ist wieder da.
    Die Buchmesse Leipzig 2016 ist vorbei.Es war eine kreative Zeit für mich. Hören, sehen, reden. Schön viel 42er mal wieder zu sehen. Freue mich auf die Buchmesse Leipzig 2017.

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