Joan liest gerade vor: Helen Docherty – Der Ritter, der nicht kämpfen wollte

Wer Kinder im Vorlesealter hat, wird das Problem kennen: Da gibt es einerseits diese herrlichen, herrlichen Bücher, die uns Erwachsene in Verzückung versetzen – so schön gemalt, so schön geschrieben, so eine tolle Botschaft –, die eigentliche Zielgruppe aber, die der Drei- bis Fünfjährigen, bringt diesen Werken wenig bis gar kein Interesse entgegen. Der Bär und das Wörterglitzern, eine poetische Sprachspielerei, habe ich meinem Sohn genau ein Mal vorzulesen versucht. Nach ein paar Minuten drückte er mir seinen Plüschelefanten auf den Schoß und verkündete, wir könnten ruhig weitermachen, er ginge solange puzzeln.

Auf der anderen Seite gibt es diese Titel, die ihre Zielgruppe auf das Vortrefflichste erreichen, den erwachsenen Vorleser aber an den Rand des Nervenzusammenbruchs treiben. Ohne nachzudenken fällt mir Warum geht es hier nicht weiter? ein, eine sinnfreie Aufzählung von fünfzig Fahrzeugen, die alle nicht weiter können, weil etwas aus der Erde kommt. Und jetzt raten Sie mal, was! Nein, leider nicht, knapp verfehlt – es ist ein Dinosaurierbaby!

Und als ob das nicht schon doof genug wäre, stammt das Buch auch noch aus dem japanischen Kulturkreis. Das hat zur Folge, dass die Polizei-, Kranken- und Müllwagen eben nicht aussehen, wie sie in all den anderen Büchern aussehen – was meinen Sohn zu wahren „Waaruum?“-Orgien verleitet. Mein Söhnchen liebt das Buch trotzdem oder vielleicht auch deswegen, und wenn er es vorgelesen haben möchte – was bedauerlich oft vorkommt – sagt er: „Ich will das, das du blöd findest.“

Ja, de gustibus und so weiter, das wussten schon die alten Römer. Umso schöner ist es, wenn man ein Buch findet, das weder ein Klassiker ist wie Janosch oder Petterson, noch in eine der beiden obigen Kategorien fällt. Helen Dochertys Der Ritter, der nicht kämpfen wollte ist ein solcher Titel.

Die Geschichte von der lesewütigen kleinen Maus, die von ihren Eltern zum Rittertum gedrängt wird, schafft es, mit teilweise subversivem Witz, entzückenden Bildern und einer bezaubernden Botschaft den erwachsenen Vorleser auch beim hundertsten Mal noch zum Schmunzeln zu bringen.

Gleichzeitig spricht die Erzählung die eigentliche Zielgruppe an, nicht nur weil mehrfach das sonst eher verpönte Wort „Drachenschiss“ fällt. Für Dreijährige oder nicht so leseerprobte Vierjährige trifft die Autorin genau die richtige Mischung aus Spannung, Witz und Textlänge, dazu gibt es eingängige Reime und mit der tapferen Maus eine wunderbare Identifikationsfigur.

Das einzige Manko ist, dass das Buch – zumindest bei meinem Sohn – eine große Ritterbegeisterung losgetreten hat. Und glauben Sie mir, die meisten Kinderbücher über Ritter fallen eindeutig in die oben erwähnte zweite Kategorie.

Trotzdem viel Spaß beim Lesen oder Vorlesen wünscht Ihnen

Ihre Joan Weng

 

 

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