Alle doof außer Mutti

„Lieber Verlag,

hiermit bewerbe ich mich herzlich, Ihnen das beigefügte Manuskript zu schicken. Mutti gefällt’s. Ihnen auch?

Mit hoffenden Grüßen …“

Als ich vor vier Jahren mit dem Schreiben anfing, hatte ich längst keine Mutti mehr, der meine Geschichten hätten gefallen können. Vielleicht hätte ich sie sowieso als Testleserin abgelehnt. Wegen Befangenheit. Vielleicht auch nicht. Bei Familienmitgliedern scheint es ja hauptsächlich zwei Kategorien zu geben: die, denen wir nie im Leben etwas recht und richtig machen werden, und die, die seit dem ersten Windelinhalt alles großartig fanden, das wir jemals produziert haben. Halten Sie sich die warm – zumindest einen davon.  

Tipp Nr. 1: „Suchen Sie sich einen Testleser, der grundsätzlich alles toll findet, was Sie tun! Unerschütterlich. Wenn Ihr schriftstellerisches Selbstbewusstsein auf einer Isomatte am Boden liegt und sich den Schlafsack über den Kopf gezogen hat, bringt dieser Testleser Ihnen einen warmen Kakao und einen Keks, angelt die zusammengeknüllten Manuskriptseiten aus dem Papierkorb und bügelt sie glatt. So einen braucht jeder, für die Psychohygiene.“

Meine erste Kurzgeschichte über ein Bauernmädchen im portugiesischen Alentejo der 30er Jahre habe ich ‚fertig‘ meinem besten Freund präsentiert. Naja, was ich damals in meinem Anfängerleichtsinn so für ‚fertig‘ hielt. Jedenfalls hatte mein erster Testleser während und nach der Lektüre Tränen in den Augen. Ob er ob des tragischen Schicksals meiner armen Protagonistin so ergriffen war oder ob es ein Ausdruck von „Oh, mein Gott, wie tragisch, aber das mit ihrer Schriftstellerkarriere wird offensichtlich sowieso nix werden und ICH muss es ihr jetzt auch noch sagen!“ – man wird es nie erfahren. Ich rede mir bis heute ein, dass es Ich-bin-einfach-nur-stolz-auf-dich-Tränen waren.

Mittlerweile heulen meine Testleser nicht mehr. Vielleicht heimlich. Mittlerweile bin ich auch nicht mehr so blauäugig, meine Geschichte erst dann anderen zu geben, wenn ich sie schon beim Wettbewerb eingereicht habe. So geschehen bei meinem zweiten Text. Wenn ich den heute lese, stelle ich mich zum Schämen in die Ecke, denn obwohl ich eine recht findige Korrekturleserin bin, hat die Betriebsblindheit ihren Tribut gefordert. Das tut sie immer.

Tipp Nr. 2: „Sie brauchen unbedingt einen weiteren Testleser, der abgrundtief gewissenhaft ist und Grammatik und Zeichensetzung als zentrales Hobby angibt. Der jedes noch so kleine Kommastrichelchen an die vom Duden vorgesehene Stelle schiebt und zwangsneurotisch jedes noch so kleine Wort auf Notwendigkeit durchleuchtet und ins rechte Licht rückt. Sie brauchen einen Deppenleerzeichenwegradierer, kurz: einen, der mit Wonne den Rotstift schwingt. Lernen Sie ihn für Sätze lieben wie ‚An der Stelle würde ich statt eines Punktes ein Semikolon setzen!‘– auch wenn Sie bislang noch nie zuvor in Ihrem Leben eines verwendet hatten.“

So einen Testleser-von-unschätzbarem-Wert hatte ich ab meinem dritten Text. Von ihm lernte ich böse Wörter kennen: Füllwörter. Zunächst diskutierte ich jedes (!) mit ihm aus. Mann, hatte der Mann eine Geduld mit mir … Heute streiche ich ohne Murren und ohne steigenden Blutdruck, was er mir zur Streichung empfiehlt. Hier kann ich es ja verraten: Bevor ich ihm die Texte schicke, werfe ich sie einem weiteren, einem ‚programmierten‘ Testleser zum Fraß vor.

Tipp Nr. 3: „Machen Sie den Füllwort-Check, zum Beispiel auf Seiten wie www.schreiblabor.de! Dort wird mein schriftstellerischer Hochmut regelmäßig von Mitteilungen niedergebügelt, dass ich 23 mal das kleine Wörtchen ‚also‘ verwendet habe und 7 mal ‚eigentlich‘ geschrieben habe. Kann eigentlich gar nicht sein. Oh. Doch.“

Im nächsten Schritt erst lesen Autorenkollegen meine Texte testweise. Erfreulicherweise finden sich immer (auch spontan) über die Social Media eine Handvoll, die wohlwollend und zielorientiert mit den Schreibprodukten abtauchen und kurze Zeit später mit konstruktivem Feedback wieder auftauchen. Das kollegiale Lektorat möchte ich nicht missen – auch nicht in die andere Richtung.

Tipp Nr. 4: „Bitten Sie Autorenkollegen, Ihre Geschichte unter einem ganz bestimmten Gesichtspunkt zu lesen. Formulieren Sie eine ‚Mission‘, das erleichtert zum einen das Lesen und zum anderen erhält man konkretere Aussagen als ‚Gefällt mir.‘ So entwickelt sich das Eichhörnchen mühsam, aber stetig schreibhandwerklich weiter.“

Tipp Nr. 5: „Bitten Sie auf alle Fälle auch einen ‚Nicht-Autor‘, die Geschichte zu lesen – suchen Sie sich einen Leser Ihrer Zielgruppe! Die Stichprobe ist zwar – wissenschaftlich betrachtet – nicht sonderlich repräsentativ, liefert aber gute Erkenntnisse darüber, ob etwas ‚funktioniert‘ und die gewünschte Wirkung hat, oder eben nicht.“

Der ultimative Tipp zum Schluss: Nehmen Sie es mit Humor, wenn Sie fünf Testleser haben und alle fünf sich ein anderes Ende für Ihren Thriller wünschen! Fünf unterschiedliche Enden, wohlgemerkt.

Apropos Ende: Ich bin dann getz wech, diesen Text zum Testlesen wegschicken. Die Wölfe vom Blogteam fletschen schon die Zähne …

Mit hoffenden Grüßen, Ihre und eure

Claudia Kociucki

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