Ans Herz gegriffen – 20 Jahre Putlitzer Preis – Preisverleihung am 14.6. – Teil 2

Freitag, der 13. scheint herüberzuschwappen auf Samstag, den 14. Mittags erreicht uns die Nachricht der nächsten Preisträgerin (Platz 6): „Es könnte knapp werden. Wir stehen hier mit dem Zug bei Spandau und kommen wegen eines Böschungsbrandes nicht weiter.“

Wir? Was heißt hier „wir“? Sie wollte doch ohne Begleitung kommen. „Wir“ heißt: Platz 2 sitzt ihr gegenüber. Das heißt auch: Wenn alle Stricke reißen, wird nur eine Preisträgerin von sechs dabei sein?! Aber nein, nur Minuten später, Anruf von Platz 5: „Ja, ich weiß nicht, wir werden vermutlich direkt zur Kirche kommen müssen. Wir stehen mit dem Zug bei Lichterfelde. Es gab hier einen Unfall.“

Eine Stunde später, Platz 6: „Also einen Zug haben wir verpasst, aber um 16:19 Uhr sollen wir jetzt in Pritzwalk ankommen.“ (Hallelujah!)

Zwei Stunden später, Platz 5: „Wir stehen immer noch. Kommen wohl zu spät.“

Zur gleichen Zeit: Moderatorenteam Claudia und Tom sowie Vorstandsdelegation Jo und Uli brechen zusammen mit 30 Schokogänsen (die die Ankunft und ihren Auftritt tatsächlich heil erleben) Richtung Kirche auf. Platz 6 und Platz 2 mit Begleitung werden von Holger vom Bahnhof abgeholt. Es wird sich frisch gemacht, neue Fahrgemeinschaften werden gebildet. Man bricht auf nach Putlitz.

Endlich: Fanfaren erschallen, Trommeln werden geschlagen.

Mitten hinein klingelt das Telefon: Platz 5, also Caren Ohrhallinger, das sei jetzt schon verraten, meldet sich: „Also da kam gerade die Durchsage: Der Zug fährt jetzt zurück nach Hamburg …“ Bitter, bitter für alle, insbesondere aber für die Wienerin und ihre Begleitung, die sich extra auf den weiten Weg Richtung Putlitz gemacht haben. Der Kurzurlaub, den sie aber, wie geplant, dann doch noch in Brandenburg und Berlin verbringen konnten, mag vielleicht ein bisschen entschädigt haben, aber etwas Wichtiges dürfte gefehlt haben.

Das letzte Echo von Pauken und Fanfaren schwebt noch über dem Platz, als die Würden- und die Preisträger sowie die Gäste in die Kirche einziehen. Schon stehen vorne Claudia Kociucki und Tom Liehr und begrüßen die Menge. Sie werden durch den Abend führen.

Den Auftakt macht Emma Wielgosz am Flügel mit einem von insgesamt drei Tänzen im bulgarischen Rhythmus von Béla Bartók. Die anspruchsvollen Stücke meistert sie mit einer beeindruckenden Virtuosität! Während Tom an der korrekten (ungarischen) Aussprache des Namens Bela scheitert.

Anders als bei früheren Jubiläuen, bei denen man das Publikum mit Nachrichten zu der jeweiligen Jubiläumszahl versorgte, versuchen es Claudia und Tom dieses Mal mit Fake-News und Fake-Buchtiteln, wie „20 Jahre Einsamkeit“. Aber die beiden verlieren nicht viel Zeit und leiten auch gleich über zur Würdigung des 6. Platzes, den Anna Rotele belegt. Bereits zum dritten Mal in Folge schafft sie unter die besten Sechs, dieses Jahr aber kann sie endlich ihre Urkunde persönlich in Empfang nehmen.

Prämiert wird ihr Text „Die Seegurke ist der Staubsauger der Meere“. Nein, das ist keine biologische Abhandlung über ein Tier, das wie ein Gemüse heißt, sondern über die erste Party der Protagonistin, vorgelesen von Laura Schulz. Wie jedes Jahr lesen Schülerinnen und Schüler des Johann-Wolfgang-von-Goethe-Gymnasiums in Pritzwalk die Siegertexte vor.

Den 5. Platz belegt Caren Ohrhallinger mit ihrem Text „Konrad“, sitzt aber irgendwo abgestellt in einem zum Stillstand gebrachten Zug, während nun Kim-Sophie Schmedemann die bedrückende Geschichte um eine Mutter vorliest, die an den erfolglosen Versuchen, zu ihrem Sohn vorzudringen, verzweifeln muss.

Anschließend tritt wieder Laura Schulz ans Mikrophon, um den Text „Achillesferse“ von Sarah Buck zu lesen. Die Preisträgerin hatte ja kurzfristig ihren Besuch absagen müssen – wir erinnern uns: Freitag der 13.! Mit einem Telefongespräch zwischen Mutter und Tochter – die Mutter weint, trinkt, lallt, die Tochter kratzt mit dem Fingernagel am Lack des Fußbodens und an der Ferse – hat Sarah Buck die Hauptjury überzeugt und Platz 4 belegt.

Wer im Publikum jetzt noch nicht gefangen ist, wird es gleich sein. Denn Nora Mittermeier setzt sich an den Flügel, und Farah Alfares greift zum Mikrophon. „Je suis malade“ (von Lara Fabian) singt sie. Ihre Stimme lässt alles verstummen, rührt Herzen, macht glücklich trotz all der Dramatik des wahnsinnigen Crescendos am Ende des Liedes. Selbst Tom, der Moderator, bringt zunächst einmal nur ein „Wow“ über die Lippen.

Aber das Leben und insbesondere die Preisverleihung müssen ja weitergehen. Leider kann auch Thorsten Dörp nicht dabei sein, wohl aber sein Text „Sommerbruch“, den Leonie Freier vorliest. Denkt der junge Protagonist noch, als er mit seinen Eltern die Reise nach Italien antritt, die Katastrophe liege im Ende der Liebe Maries zu ihm, muss er nur zu schnell erfahren, dass das wirklich, wirklich Schlimme in Italien lauert.

Später wird Thorsten Dörp angerufen und die Trophäe, eine Gans, dick verpackt samt Urkunde per Post auf die Reise geschickt.

Das ist beim nächsten Preisträger nicht nötig. Denn wie Anna Rotele, hat es schließlich auch Christoph Hein in nahezu letzter Minute geschafft.

Er kann seine Gans mit dem Kettchen „Platz 2 2025“ persönlich in Empfang nehmen, nachdem Pepe Wachshofer den Text „Entlang der Narbe“ gelesen hat „als sei er selbst der Junge aus dem Text“, um einen der Anwesenden zu zitieren. Verstohlen (oder auch ganz unverstohlen) wird sich hier und da ein Tränchen aus dem einen oder anderen Auge gewischt.

Und dann … die Preisträgerin, die Siegerin, die Erstplatzierte Özge Inan, ausgerechnet sie ist nicht da. Trotzdem können alle an ihrer Freude teilhaben, denn Claudia Kociucki greift kurzerhand zum Telefon. „Oh, mein Gott! Oh, mein Gott“ erklingt der Jubel aus dem Lautsprecher.

Anschließend hören wir den Siegertext „Papahydra“, gelesen von Nele Harz. Drei werdende Väter sitzen im Wartebereich vor den Kreißsälen, heben gleichzeitig den Kopf, wenn die Hebamme hereintritt. Sprechen über die Gemeinsamkeiten, die Zukunft als Väter … und es wächst eine Angst: Was, wenn dann doch etwas Unaussprechliches passiert? – Und wie schmeckt eigentlich Twix Salted Caramel?

Und dann setzt Nora Mittermaier sich wieder an den Flügel und begleitet Farah Alfares, die ihr eigenes Lied „From Afar“ singt. Behutsam, eindringlich, zum Ende hin dieses Mal kein Crescendo, die Sängerin lässt das Mikro sinken und dimmt dann noch ihre Stimme, immer leiser klingt es „from afar“. Und wieder dieses vermaledeite Staubkorn im Auge.

Claudias und Toms Job ist fast getan, nun ist es Jo, der allen dankt: Anwesenden für ihr Anwesend-Sein, den Musikerinnen, dem Vorleser und den Vorleserinnen, all den fleißigen Helferinnen und Helfern in Putlitz, der Gemeinde, dem Bürgermeister, der anwesenden Familie des Schirmherrn Moritz Gans Edler zu Putlitz. Uli überreicht die Schokogänse, von der keine geschmolzen ist. Und fast könnte man jetzt gehen, aber noch einmal erklingt Farah Alfares Stimme – a capella jetzt – mit einem Lied aus der libanesischen Heimat der Sängerin, „Kan ena Tahoun“ von Faruz. Schmeichelnd, wehmütig, einfach unglaublich schön.

„Verzaubernd“, bringt es schließlich Christoph Hein, der Zweitplatzierte auf den Punkt. Überhaupt, er sei von der ganzen Veranstaltung verzaubert. Der Dank gebührt auch ihm und den anderen Preisträgerinnen und Preisträgern für die Texte, den Schülerinnen und dem Schüler fürs Vorlesen und den Musikerinnen. Ach ja: und Claudia und Tom. Danke, danke, danke!

sagt Paula Lankow