Auf den Hund gekommen

Ben

Vor gar nicht mal so langer Zeit hatten wir noch einen Hund. Einen deutschen Schäferhund, Langhaar. Drei bis vier Mal musste ich täglich raus, Wetter war kein Argument zum drinnen bleiben. Außerdem ging es, von wenigen Ausnahmefällen abgesehen, nicht nur zu einem Baum und dann zurück, sondern es wurden Runden gedreht. Wir hatten ein Repertoire von kleinen, mittleren und großen Runden. Letztere waren vor allem dem Wochenende und Urlaub vorbehalten, kamen aber auch gelegentlich in der Woche an die Reihe, wenn das Wetter passte oder ich mir Frust ablaufen wollte. Diese »Hunde-Gänge« bekamen mir unglaublich gut. Vor allem sorgten sie dafür, dass ich nicht isoliert durch die Welt lief, sondern auch mit anderen Menschen kommunizieren konnte. Die seltenen Fälle, bei denen die Gesprächsaufnahme darin bestand, dass sich jemand über den Hund aufregte, übergehe ich jetzt mal. Die habe ich längst vergessen, weil sie nicht wichtig sind. Andere Kontakte und Gespräche bleiben aber in der Erinnerung. Gerne haben sich junge Frauen mit unserem Hund beschäftigt. Ich habe ihm dann beim Freuen geholfen. Meistens habe ich ihn beneidet.

Oft wurde ich in die Kommunikation einbezogen, was ein wenig tröstete – so zum Beispiel einmal in Wertheim, wo ich mit irgendetwas beschäftigt war und nicht merkte, dass unser Ben bereits hinter meinem Rücken wieder mit so einem »Frauchen« Freundschaft geschlossen hatte. Als ich mich umdrehte und sah, dass beide bereits beim Austausch von Streichel- und Leckeinheiten waren, konnte ich nicht mehr viel dazu tun. Endlich kam auch der Mann oder Freund der Frau und wollte sich am Streichelaustausch beteiligen. Da hatte er aber die Rechnung ohne unseren Ben gemacht. Der Neuzugang wurde weggeknurrt. Schmusereien teilte unser Hund nicht gern. Erfreulicherweise nahmen das beide nicht krumm. Es wurde gelacht, man verabschiedete sich und ich hatte eine Anekdote mehr, die ich bei Gelegenheit erzählen kann.

Leider verstarb Ben vor gut zwei Jahren. Abgesehen davon, dass das eine traurige Geschichte ist – über ein Jahrzehnt bauen sich zwischen Hund und Mensch schon besondere Beziehungen auf – nun fehlte mir plötzlich der Ausgang und die Bewegung. Das machte mir zu schaffen, bis ich entdeckte, dass mich das Fotografieren auch nach draußen locken konnte. Fotografiert habe ich immer schon gern, seit dem Tod unseres Hundes habe ich das aber intensiviert. Anfangs wurde das jedoch kein richtiger Ersatz. Insbesondere fehlte dabei die Begegnung mit anderen Menschen. Wo früher häufig – ach, ist das ein schöner Hund – zu hören war, kam jetzt – gar nichts. Niemand sagte: Was haben Sie denn da für einen schönen Fotoapparat. Nicht mal die jungen Frauen. Einsam und traurig musste ich meine Fototouren machen (wer gerne mitleidet, kann an dieser Stelle innehalten und ein wenig weinen). Aber ich machte bald eine interessante Entdeckung, die den alten Zustand zumindest manchmal wieder herstellt.

Selbstverständlich fotografiere ich digital – mit langsam fortschreitender Sachkenntnis. Mir fiel dann beim Keller aufräumen ein alter Fotoapparat unserer Kinder in die Hände. Irgendwo hatten wir auch noch einen alten Film, den ich hervorholte und wenig später war der erste Film belichtet. Gut ein Jahrzehnt nach dem letzten analogen Fotoerlebnis. Meine Minolta Spiegelreflex war schon fast ebenso lange verkauft. Mit dem einen Film war es dann aber nicht getan. Das Erlebnis, die Ergebnisse nicht sofort sehen zu können, auf die Entwicklung des Films dann sogar noch warten zu müssen, baute Spannung auf. So kaufte ich einen zweiten Film und schaute mich um, was es sonst noch an Kameras gab. Es fanden sich weitere Modelle. Auf der Suche nach der ersten Kamera, die ich als Elfjähriger bekommen hatte (eine Agfa Isoly I) entdeckte ich, welch reichen Schatz an analogen Kameras es gab. Bald hatte ich eine ganze Reihe solcher Objekte bei mir und, neugierig wie ich bin, will ich die nicht nur in der Vitrine stehen haben, sondern damit losziehen und fotografieren. Dabei machte ich dann folgende Erfahrung: Je älter die Kamera ist und je obskurer sie aussieht, desto mehr zieht der Fotograf die Aufmerksamkeit anderer Menschen an. Die mit dem Tod unseres Hundes verloren geglaubte Kommunikationsfalle war wieder da. Ich zog mit meiner Agfa Billy Balgenkamera, Stativ und Drahtauslöser – weil der Auslösemechanismus sonst zu erschütterungsanfällig ist – durch Bad Mergentheim und hatte die volle Aufmerksamkeit aller mir begegnenden Passanten. Frauen, vor allem junge, lächelten mich an. Menschen blieben stehen und mit Sätzen wie »das ist aber eine ganz alte Kamera« begannen Gespräche, die schnell vom Fotografieren wegführten, ohne Kamera aber nicht zustande gekommen wären. Ich stehe in Würzburg auf dem Marktplatz, die Agfa Box vor dem Bauch und versuche konzentriert durch den schon etwas beschlagenen Sucher das Motiv zu fixieren. Als ich fertig bin und aufsehe, steht eine junge Fotografin neben mir mit massiger, digitaler Vollformatausrüstung, fotografiert aber nicht, sondern schaut auf meine Box, dann auf mich, lächelt und nickt mir zu.

Nun kann ich also zufrieden sein. Der alte Zustand ist wieder hergestellt. Ich muss nicht fürchten, einsam irgendwo im Straßengraben zusammen zu brechen und niemand sieht das. Na ja, fast der alte Zustand. So schön das Fotografieren ist – mit Hund war es doch noch ein bisschen schöner.

Ihr Horst-Dieter Radke

 

Kamera

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