Aus dem Schrifstellerleben: Der Verlagsvertrag

Da hat man ihn endlich, den Vertrag, den langersehnten, nach gefühlt einhundertelfzig Absagen. Nun liegt er vor einem und muss nur noch unterschrieben werden. Und Frau Autorin zögert genau so wenig wie der Herr Autor. Schön geschwungen, möglichst mit Tinte (Blut wäre doch zu auffällig) wird der Name unter den Vertrag gesetzt. Später in den Biografien, wo möglicherweise ein Faksimile des Vertrages abgedruckt wird, soll es ja nach was aussehen. Da muss das nach was aussehen, da kann nicht einfach nur so ein Krakel stehen, da muss eine richtig schöne, künstlerisch gestaltete Unterschrift hin. Und dann ab mit dem Vertrag auf die Post, viel Zeit ist nicht zu verschwenden, jetzt muss man sich ja langsam an das Berühmtwerden gewöhnen. Doch manchmal klappt das nicht so schnell wie man sich das erhofft hatte, und wenn doch, passiert vielleicht sogar etwas, an das man überhaupt nicht gedacht hat, dass der Verlag das machen würde. Und der darf das auch noch, weil man es unterschrieben hat. Ja, hätte man den Vertrag vor der Unterschrift gründlich gelesen, hätte man nachher nicht solche Malaisen damit.

Verlegers Abgang

Das hat er jetzt davon, dachte sie und zog die Schnur langsam immer strammer. Schreien ging nicht mehr. Seine Hände bekam er nicht mehr zwischen die Schlinge. Weg konnte er auch nicht, denn sie hatte den Strick durch die Banklatten gezogen. Was für ein dummer Kerl. Dachte, er könne sie einfach so abzocken und sie würde das still hinnehmen. Dieses letzte Gespräch, dem er zugestimmt hatte an seinem Urlaubsort hier auf Borkum, das hatte er doch nur gemacht, um sich an ihrer Hilflosigkeit zu weiden. Neunhundertneunundneunzigmal hatte er es nicht nötig, seine Autoren über den Tisch zu ziehen, einfach weil es da nichts gab, weswegen es sich für ihn gelohnt hätte. Dann kommt aber einmal ein Titel in seinem sauberen Verlag heraus, der sich wirklich verkauft. Der weggeht wie warme Semmel. Der in aller Munde ist und den jeder haben will. Da nutzt der Schurke die Klausel im Vertrag zur Einräumung von Nutzungsrechten, die besagt, dass er das Recht, Ausschnitte des Werks oder das ganze Werk durch ganzen oder teilweisen Abdruck, Sendung oder sonstige Wiedergabe, auch im Internet zum Zwecke der Bewerbung entgeltlich oder unentgeltlich unter Verwendung des Namens des Autors zu nutzen hat. Eine Klausel, die ihr beim Unterzeichnen des Vertrags nicht richtig bewusst gewesen war. Nur um sich und seinen Verlag ganz groß in den Vordergrund zu rücken. Und der Dritte, dem er die Rechte abgetreten hat, ist außerdem noch der Verlag seiner Frau, die Optionen für billiges Geld an Discounter und ähnliche Verramscher gibt. Von diesen Einnahmen geht natürlich nichts an die Autoren, da alles nur für Promotionzwecke gedacht ist.

Nun zappelt dieser Zausel. Dass sie nach seiner endgültigen und letzten, immerhin freundlichen Absage auf ihre Forderung, diesen Vertragspassus nicht in seinem Sinne zu nutzen, aufgestanden ist und hinter die Bank trat, dass ist ihm nicht aufgefallen. In aller Ruhe hat sie die Schlinge zwischen den Latten der Rückenlehne durchgezogen, ihm über den Kopf gelegt und dann zugezogen. Nun hängt er halb auf der Bank, die Beine liegen schon auf dem Fußweg. Er strampelt, versucht sich herauszuwinden und wird immer schwächer. Doch er hat keine Chance. Und im Rot der untergehenden Sonne über der ruhigen, sanft rauschenden Nordsee haucht der Mann sein unanständiges Leben aus. Sie hält die Schlinge noch eine Weile fest in der Hand, bis sie ganz sicher ist, dass kein Rest Leben mehr in ihm steckt. Dann lässt sie los, seufzt erleichtert auf, nimmt ihm die Schlinge ab und macht sich auf den Weg zum Hotel. Dort wartet seine Frau bereits auf ihn. Er wird nicht mehr kommen.

Aber sie, die Autorin!

Bis zum nächsten Beitrag aus dem Schriftstellerleben

Ihr Horst-Dieter Radke

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