Bücher gehen immer, alles andere auch

Unsere Buchhandlung ist zu. Warum, habe ich nicht recht verstanden, irgendeine größere Geschichte scheint da im Gange zu sein, ich schau nicht so oft Nachrichten.

Ha, Witz, schon kapiert: Es ist natürlich wegen Corona. Jedenfalls hat sich arg schnell arg viel verändert. Neben unserer Homepage und der Mailanschrift haben wir jetzt eine Handy-Hotline für Rund-um-die-Uhr-Bestellungen und lassen den Kunden ihre Bücher via Direktversand zukommen. Die geschlossene Buchhandlung besetzen wir jeden Mittag für zwei Stunden, um den Anrufbeantworter abzuhören, die Post entgegenzunehmen und die Bestellungen zu koordinieren, die der Großhändler nach wie vor in den Laden liefert, damit wir sie den Kunden nach Hause bringen, solange wir das dürfen.

Heute rufe ich unseren Stammkunden Herrn K. an. Ich informiere ihn, dass seine vor einer Woche antiquarisch bestellten Bücher eingetroffen sind, und biete ihm an, sie zu liefern.

Herr K. ist begeistert. „Sind Sie denn auch die ein Meter fünfundachtzig große, sehr hübsche Dame, bei der ich bestellt habe?“

Bin ich nicht. Ich bin die nur ein Meter dreiundsechzig große andere Dame.

„Ich darf das fragen“, schiebt Herr K. nach „Ich bin über neunzig Jahre alt und ein Meter vierundneunzig groß.“

„Da müssen Sie mit meiner Kollegin Frau S. gesprochen haben“, sage ich.

Gleichwohl hocherfreut verrät mir Herr K. seine Adresse. „Sie können es nicht verfehlen. Es ist das schönste Haus in der Straße.“

Das weiße, reetgedeckte Haus des Ehepaares K. liegt fast auf meinem Heimweg. Herr K. öffnet mir und begrüßt mich freudig. Ich halte Abstand, während ich ihm die Bücher reiche. Herr K. staunt über das Schälchen, mit dem der Geldtransfer vonstattengeht. Eine Rechnung braucht er nicht.

„Trotzdem“, sagt er. „Sie müssen wenigstens kurz zu uns in die Stube kommen und unsere Bücherwand anschauen. So was haben Sie noch nicht gesehen.“

Ich zögere.

„Sie kriegen auch Kaffee“, lockt Herr K., „und Gebäck.“

Seine Frau winkt aus dem Rollstuhl. Ich winke zurück und verspreche, dass ich die erste Bestellung, nachdem all dies überstanden ist, wieder persönlich ausliefern und dann einen Kaffee mit den beiden trinken werde.

„Da haben wir jetzt schon was zum Freuen“, sage ich. Insgeheim nehme ich mir vor, die Bücherwand des Ehepaar K. zu bewundern, dass es nur so kracht.

Als ich zum Auto gehe, flötet eine Amsel. Es wird Frühling. Ich habe ein Date, für nach Corona. Glauben Sie mir: Die Einladung zu einem Kaffee schlagen Sie in meinem Alter nicht mehr leichtfertig aus – schon gar nicht, wenn Sie nur ein Meter dreiundsechzig groß sind.

In diesem Sinne: Es geht vorbei. Bleiben Sie gesund und: Support your local bookdealer!

Ihre

Kristin Lange

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