Bücher statt Postkarten

In diesem Jahr stand Äthiopien auf meinem Reiseplan: die Wiege der Menschheit, das Dach Afrikas und das einzige Land auf dem schwarzen Kontinent, das niemals kolonialisiert wurde. Überhaupt war ich noch nie in Ostafrika gewesen. Im Februar also flog ich nach Addis Abeba, um nach einigen Tagen von dort aus auf eine Rundreise durch Äthiopien aufzubrechen.

Drei Tage zum Akklimatisieren waren eine gute Idee. Ich hatte das, was auf Rundreisen immer knapp bemessen ist: Zeit, einfach mal eine Stunde oder länger in einem Cafe zu sitzen und die Stadt auf mich wirken lassen. Das habe ich in Addis ausführlich getan. Neben den Schuhputzern, die tapfer immer wieder anboten, meine Latschen zu putzen, obwohl sich an denen leider überhaupt nichts putzen lässt, haben mich besonders die fliegenden Buchhändler begeistert. Mit Stapeln von vielleicht zwanzig oder dreißig Büchern auf ihren wie bei einer Räuberleiter verschränkten Händen zogen sie durch die Straßen. Besonders gefragt schien in diesem Winter ein Buch zu sein, auf dem die Silhouette einer hochschwangeren Frau vor einem abendroten Himmel steht. Dieses Buch lag meistens obenauf. Ein Heimatroman, wie ich später erfuhr. Leider kenne ich keinen einzigen Buchstaben Amharisch und hob deshalb immer nur bedauernd die Schultern. Einigen der Buchverkäufer reichte das, um anderswo ihr Glück zu versuchen, andere boten mir dann gern noch die Neuere Äthiopische Geschichte auf Englisch an. Aber wie hätte ich diese denn auf die Rundreise mitnehmen sollen, für die es recht strikte Gepäckregeln gab? Und brauchte ich eine Neuere Äthiopische Geschichte? Bedauerndes Kopfschütteln wurde eine meiner häufigsten Gesten. Aber ich freute mich während meiner Reise oft, wenn ich lesende Menschen sah: Schüler unter einem Baum, eine Gläubige in einer Kirche, die – vermutlich – ein Gebet las. Auch in den Cafés der Städte saßen Menschen jeden Alters und lasen. Das – aber nicht nur das – nahm mich von Anfang an für Äthiopien ein.

Fotos: Andrea Mergel

Was ich mir von den Straßenverkäufern jedoch gewünscht hätte, bekam ich leider nicht: Postkarten. Bei dieser ersten Reise bekamen wir zwar noch Postkarten, nämlich von unserem Guide, der einen Vorrat bei sich hatte. Allerdings war es schlicht unmöglich, Briefmarken zu bekommen, denn immer, wenn wir danach fragten, war das Postamt geschlossen oder es gab in dem jeweiligen Ort gar keines. Ich flog nach Hause, ohne eine einzige Postkarte verschickt zu haben, sehr zum Bedauern meiner Freunde, die Postkarten aus den Weiten Afrikas mögen.

Im Juni flog ich zum zweiten Mal nach Äthiopien und verbrachte ich meine Zeit in Dire Dawa, einer der größten Städte des Landes. Hauptsächlich, um Gespräche für ein Buch zu führen, das ich schreiben will. Dass die meisten Gespräche stattfanden, während ich in einem Kreis Kath kauender Männer saß, ist eine andere Geschichte, die ich vielleicht ein anderes Mal erzählen werde. Ich hatte ja gelernt, dass das mit den Briefmarken schwierig ist und kümmerte mich also gleich zu Beginn meines Aufenthaltes darum. Der Angestellte hinter dem Postschalter schob mir auf mein Anliegen drei verschiedene Briefmarkenbögen über den Tresen und scherte sich nicht um meine entgeisterte Miene: Wenn ich auf jede Postkarte drei Briefmarken kleben musste, wo sollte ich dann noch etwas hinschreiben? Ich ahnte noch nicht, dass das am Ende mein kleinstes Problem werden sollte. In Dire Dawa gibt es nämlich keine Postkarten. „Was willst Du“, sagte mein Gastgeber, „wir haben gerade gelernt, dass man das alles online macht. Wir machen Postkarten mit unserem Telefon und versenden sie per E-Mail.“

Seine Nichte versuchte mir zu helfen, indem sie mit mir gemeinsam zum Taiwanesen ging – dem größten Markt der Stadt für Souvenirs. Eine Stunde lief sie tapfer mit mir durch die Gänge. Doch überall, wo sie nach Postkarten fragte, sah man sie mitleidig an, als wollte man fragen: „Aus welchem Jahrhundert bist du denn?“

Nun muss man berücksichtigen, dass Dire Dawa für Touristen gänzlich uninteressant ist, abgesehen von einem alten Bahnhof, den die Franzosen Ende des 19. Jahrhunderts dort  gebaut haben und von dem aus heute noch zwei Mal pro Woche Züge fahren, nämlich einmal nach Dschibuti und einmal nach Addis Abeba. Er ist charmant, der kleine Bahnhof, weil in ihm die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Frühere Luxuswaggons lassen sich dort ebenso bewundern wie ein altes, französisch beschriftetes Stechkartensystem. Aber das ist selten ein Grund für Gäste, sich nach Dire Dawa zu verirren, was sich auch am Angebot der Straßenverkäufer bemerkbar machte. Sie hatten Bücher und manchmal Lotterielose bei sich. Mein Blick auf ihre Waren wurde dringlicher, je näher das Ende meines Aufenthalts rückte, hoffte ich doch, einer von ihnen würde vielleicht doch noch mit einer Auswahl von Postkarten vorbeikommen, während ich zum Frühstück meinen Buna ba whatatt (Milchkaffee, das einzige Wort Amharisch, das ich inzwischen außer „Amässegenalo“ – Danke gelernt habe) trank. Einmal konnte mir nicht verkneifen, einem von ihnen zuzuraunen: „Wenn Du Postkarten hättest, wären wir ins Geschäft gekommen.“

Aber ich spreche – wie bereits erwähnt – kein Amharisch. Er sprach kein Deutsch. Und mein Gastgeber war manchmal wählerisch in seiner Tätigkeit als Übersetzer. So ist mein Ratschlag wohl unverstanden verhallt. Erwarten Sie von Äthiopienreisenden also keine Postkarten. Aber lassen Sie sich doch ein Buch als Souvenir mitbringen.

Souvenirlose Grüße,
Ihre Dorrit Bartel

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