Das stille Haus – ein Gastbeitrag von Birgit Gürtler

Still steht es da. Und doch scheint es bewohnt. Die Fenster sind klar, die Treppe ist immer gefegt, der Garten sauber, wenn auch nicht akkurat. Der Teich davor mit klarem Wasser, obwohl es ein wenig bräunlich ist.

Und doch. Niemand öffnet, wenn man klingelt. Seit Jahren macht sie es, wenn sie auf seiner Wanderung an diesem Haus vorbeikommt, schon aus Tradition. Auch diesmal. Sie hat sich schon umgewandt und will wieder gehen, weil der Pflicht genüge getan ist, da stutzt Birgit, wendet sich noch einmal um.

Zögerlich schiebt sie die Tür ein Stück auf und blickt in den schmalen Flur.

Hat sie da eben nicht ein Flüstern oder Raunen gehört? Ist heute jemand zu Hause? Die Dielen am Boden dünsten den Geruch von Wachs aus. Sie glänzen, als sei noch nie ein Mensch darüber gelaufen.

Der Flur führt zu einem geräumigen Salon. Auf Hochglanz polierte Chippendale Möbel, geschmackvolle Sofas mit goldgrünem Streifenmuster stehen im Raum verteilt.

Auf den Sofas und Sesseln hocken ein Dutzend Katzen, die verwundert bis misstrauisch hochblicken. Sie tragen Abendgarderobe und sitzen vor Tischen, auf denen Gebäck und Tee stehen.

Sie schüttelt ungläubig mit dem Kopf und guckt die Treppen hinauf.

„Hallo?“

Nichts regt sich, doch es muss jemand hier sein. Jemand, der einen riesen Tick hat und sie bereut, dieses Haus betreten zu haben. Die Neugierde aber lässt sie die Treppe emporsteigen, die Blicke der Katzengesellschaft im Rücken wissend.

Ein Kichern dringt aus einem der Zimmer.

„Hallo?“, ruft Birgit. Sie öffnet einen Raum. Eine alte Frau sitzt dort. Sie näht winzige Anziehsachen und hält gerade ein besticktes Seidenkleidchen in der Hand.

„Guten Tag, ich wollte nicht stören, doch die Tür stand offen.“ Ein verlegenes Räuspern entweicht Birgits Kehle.

Die Alte kichert, wobei sich ihre dünne Gesichtshaut wie eine Ziehharmonika in Falten legt.

„Nein, komm nur her. Du bist kein Atemzug zu früh. Schau!“ Die Frau hält das Puppenkleid in die Höhe. „Ist es nicht hübsch geworden?“ Beschwerlich rappelt sie sich aus dem Ohrensessel hoch.

Die Alte stellt sich nah vor sie, legt ihre knöcherne Hand auf ihre Schulter. Ein Schwindel überkommt Birgit. Als sie zu sich kommt, sitzt sie gekleidet in bestickter Seide vor Plätzchen und Tee. Ein rotgetigerter Kater zwinkert ihr zu und streicht über ihr pelziges Ohr.

Ihre Birgit Gürtler

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2 Gedanken zu „Das stille Haus – ein Gastbeitrag von Birgit Gürtler“

  1. Das neue Jahr fängt ja gut an.
    Man, bin ich froh, das ich im stillen Haus nur den Widergänger von John Lennon getroffen habe. Als Katze in diesem Haus zu sein, ne, nicht wirklich eine schöne Vorstellung für mich.
    Für Dich, Birgit, passt das vielleicht, mit Kleidchen. Man weiß es nicht so genau.
    Vielen Dank für die schöne Idee.

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