Der grimmige König
Es war einmal ein grimmiger König, der hatte allen in seinem Königreich verboten zu lachen. Selbst die Tiere durften keinen Laut von sich geben und sogar Blumen und alle anderen schönen Dinge waren verboten. Die Menschen lebten arm und einsam und niemand traute sich in das Königreich des grimmigen Königs hinein. Sogar die Sonne, so schien es, machte einen Bogen um dieses Stück Erde oder versteckte sich lieber hinter eine Wolke. So lag das Land lautlos und ohne Freude in grimmiger Einsamkeit.
Eines Tages kam ein Gaukler des Weges. Er hatte nichts von alledem gehört. Er zog durch die Welt, machte auf Marktplätzen seine Späße und er trug einen kostbaren Vogelbauer mit sich, in dem sein Freund, ein Traumvogel, lebte. Der Gaukler machte seine Späße, damit die Menschen etwas zu lachen hatten. Der Vogel sang die schönsten Melodien und brachte die Menschen zum Träumen. Als der Gaukler nun unterhalb der Burg des grimmigen Königs seine Späße trieb, blieb niemand stehen, um ihm zuzusehen. Stattdessen schauten sie den Gaukler voller Furcht an und liefen eilends fort. Als der Vogel anfing sein Lied zu singen, das von Feldern voller schöner Blumen, die dufteten, von schönen, lachenden Menschen erzählte, bekamen die vorbeilaufenden Menschen noch mehr Angst. Noch ehe der Gaukler sich weiter wundern konnte, kamen schon die Schergen des Königs, packten ihn und seinen Vogelbauer und zerrten ihn vor den König.
„Wie kannst du es wagen in meinem Lande deine Späße aufzuführen?“, fragte der König grimmig. „Ich bin ein Gaukler. Ich ziehe durch die Lande und vertreibe den Menschen die Sorgen mit meinen Späßen. Ich bringe sie zum Lachen und die Lieder meines Vogels bringen sie zum Träumen. Aber hier bei euch lachte keiner und alle laufen fort. Was ist passiert?“
„In meinem Land ist es unter Strafe verboten zu lachen und zu träumen?“
„Du kannst den Menschen das Lachen verbieten, aber wie kannst du verhindern, dass die Menschen träumen?“ Der Grimm des Königs wurde immer größer. Dieser hergelaufene Gaukler zeigte keine Angst und stellte obendrein noch ungehörige Fragen, auf die er keine Antwort wusste.
„Werft ihn in den Kerker“, befahl er seinen Schergen, „ich will später entscheiden, was aus ihm werden soll.“ So warfen sie den Gaukler in ein tiefes Gefängnisloch.
Da saß er nun. Hatte nichts als seinen Vogelbauer mit dem Traumvogel. „Wenn ich schon nicht mehr auf der Straße meine Späße treiben kann, um die Menschen zu erfreuen, sollst du wenigstens deine Lieder singen können. Flieg hinaus und singe überall deine Lieder, bringe die Menschen zum Träumen. Dich wird keiner fangen können.“ Er öffnete den Käfig und der Vogel flog hinauf bis an das Ende des Turms, fand dort eine Mauerlücke und entschwand in die Freiheit.
Er flog über die Burg, über Wälder und Felder hinweg. Schließlich wurde er müde. An einem Waldrand fand er ein Haus, auf dessen Dach er sich niederließ. Alles war ruhig. Nichts regte sich. Kein Mensch war zu sehen und aus dem nahen Wald drang auch kein Laut zu ihm. Da begann er sein Lied zu singen. Klar und laut durchzog die Melodie die Stille. Er sang von der Wanderschaft. Sang von den Menschen, die laut über die Späße seines Meisters lachten. Sang über die Träume, die so schön waren, dass die Menschen durch sie leben konnten. Am Ende sang er über den Kerker, in dem sein Meister gefangen halten wurde.
Als sein Lied verstummte, war die Stille noch gewaltiger als zuvor. Da aber hörte er ganz leise eine andere Vogelstimme. Dann noch eine zweite, eine dritte, schließlich zwitscherte und sang es um ihn herum, wie es sich für einen richtigen Wald gehört. Es öffnete sich eine Türe im Haus und zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, schauten ängstlich hinauß. Sie hörten die Vögel zwitschern, sahen nichts Böses und traten vorsichtig vor die Türe. Noch nie in ihrem Leben hatten sie so etwas Schönes gehört. Ängstlich kamen nun auch die Eltern in den Garten. Ach, wie lange war es her, das sie solche Musik gehört hatten? Plötzlich lachte der Junge und seine Schwester fiel in das Lachen ein. „Lacht nicht“, ermahnten die Eltern die Kinder, „es ist bei Strafe verboten.“ Die Kinder aber ließen sich das Lachen nicht nehmen. Sie freuten sich, fingen gar an zu tanzen und als sie am Abend ins Bett gingen, da träumten sie von lachenden Menschen, sonnigen Tagen und schöner Musik.
Die Zeit verging und der Gesang des Vogels wurde immer öfter im Königreich gehört. Mehr und mehr Menschen fingen an zu lachen, träumten von Freude und duftenden Blumen. Als der König davon hörte, ließ er seine Schergen ausreiten und jeden in den Kerker werfen, der lachte. So kamen immer mehr Leute in den Kerker und trafen dort auf den Gaukler. Als sie ihm von einem Vogel erzählte, der mit seinen Liedern die Menschen zum Lachen und zum Träumen brachte, da freute er sich. „Ein König kann das Lachen verbieten. Er kann auch das Träumen verbieten. Aber er wird die Träume der Menschen nie kontrollieren können, sie sind so frei wie der Traumvogel. Wo er singt, hat kein König der Welt mehr Macht.“
„Der König hat seine Schergen ausgeschickt, den Vogel zu töten“, sagten die Leute. „Er wird diesen Vogel nie töten können, das braucht ihr nicht zu fürchten“, antwortete der Gaukler.
Und so war es auch. So sehr sich auch die Jäger des Königs bemühten, niemals konnten sie den Vogel fangen oder töten. Stattdessen hörten sie seinen Gesang, wo immer sie auch auftauchten, als wäre es nicht nur ein Vogel, sondern viele Hunderte.
Der König wurde immer grimmiger. Schließlich konnte er keinen Menschen mehr einsperren, die Kerker waren alle voll und jeder auf der Straße lachte nun öffentlich und ohne Angst. Die Kinder pfiffen auf den Fingern, sangen fröhliche Weisen und tatsächlich schien auch die Sonne wieder über dem Land.
Bald wusste der grimmige König keinen Ausweg mehr. So ließ er den Gaukler aus dem Kerker holen. „Du hast mir das Lachen in mein Land gebracht. Sieh, was daraus geworden ist. Alle Menschen lachen, sind fröhlich, machen öffentlich Musik. Keiner achtete mehr meine Verbote. Das ist allein deine Schuld, dafür musst du mir büßen. In drei Tagen wirst du hängen.“ So ließ er es auch im ganzen Land verkünden. Alle Menschen wurden traurig. Keiner konnte mehr lachen. Manche saßen zusammen und weinten. Schon so lange hatten sie nicht mehr weinen können, waren sie nicht mehr so traurig gewesen. In den Nächten aber träumten sie weiter von ihrem Lachen. Träumten weiter von der Musik und obwohl sie traurig waren, hatten sie doch Mut. Als der Tag gekommen war, an dem der Glaukler sterben sollte, standen viele Menschen auf dem Marktplatz. Der Galgen stand oben an der Mauer und daneben saß der König mit grimmigem Gesicht.
„Der Gaukler ist in mein Land gekommen und hat sich meinen Gesetzen widersetzt. Auch hat er mein Volk gegen mich aufgewiegelt, dafür muss er heute hängen,“ donnerte der König mit grimmiger Stimme über den Marktplatz. Keiner sagte ein Wort. Alle standen ruhig dort. Als aber der Gaukler in Fesseln zum Galgen geführt wurde, da ging ein Raunen durch die Menge.
„Gaukler“, sagte der König, „du hast ein letztes Wort, bevor du stirbst. Sprich!“ Der Gaukler stellte sich unter den Galgen und begann ein fröhliches Lied zu pfeifen. Nichts sagte er, nur sein Lied war zu hören. Die Melodie kam allen bekannt vor. Schon begannen einige mitzupfeifen, andere klatschten in die Hände und bald lachte und sang der ganze Marktplatz. Sogar der Henker klatschte in die Hände und vergaß dabei sein Amt. Und als die Sonne sich verdunkelte, war es keine Wolke, hinter der sie sich versteckte, sondern eine Schar großer Vögel, die sich auf den König stürzten und ihn mit seinem Stuhl in die Lüfte hoben und mit ihm fortflogen. Bis heute ist nicht bekannt, in welchem Land der grimmige König abgesetzt wurde. Das Reich aber war nun befreit und alle konnten sich wieder des Lebens erfreuen. Der Traumvogel und sein Meister zogen bald weiter. Es gibt ja noch immer überall einige Menschen, die nicht an die Kraft des Lachens und der Träume glauben.
Amos Ruwwe
In den letzten Wochen wurden eine Reihe von Märchen für Amos nacherzählt. Den Abschluss dieser Reihe bildet dieses Märchen von Amos. Leider kann er dies nicht mehr selbst zur Kenntnis nehmen, denn er ist am 19. Oktober verstorben. Wir vermissen ihn.
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