Die kleine Meerjungfrau – ihre wahre Geschichte
Es war einmal vor langer, langer Zeit eine kleine Meerjungfrau, über die wurde sehr viel erzählt und geschrieben, aber leider lauter Stuss!
Das fängt schon bei ihrer Hautfarbe an, über die sich die Leute in den Internetforen gerade so gerne in Rage schreiben – aber ehrlich gesagt, war sie weder weiß noch braun, sondern ein bisschen grünlich und an Handtellern und Fußsohlen fast blau. Ihre Haare aber waren tatsächlich rot und ihre Augen, die wie bei Fischen üblich ein bisschen sehr weit entfernt standen, glänzten schwarz. Ihre Zähne waren klein und weiß und wenn sie lachte, dann konnte man sehen, dass sie sehr spitz waren. Im Übrigen war sie gar keine Prinzessin, sondern die Tochter eines wohlhabenden Algenbauers, was nur leider nicht so glamourös klingt.
Tief unten im Meer also lebte diese kleine Meerjungfrau und machte ihrem armen Vater mächtig Sorgen. Triton, so der Name dieses leidgeprüften Mannes, hätte seine Tochter nämlich sehr gerne gut verheiratet – damit sie versorgt war, wie damals üblich. Ihre Schwestern waren längst alle unter der Flosse. Nur für die kleine Meerjungfrau, fand sich einfach kein passender Ehemann. Und das hatte durchaus Gründe – den Herrn der Aale fand sie zu dünn, der Fürst der Haie war ihr zu gruselig und selbst am sanften Monsieur Hering, hatte die kleine Meerjungfrau etwas auszusetzen. Der stank! Nach Fisch! Da half es auch nicht, dass Trititon ein ums andere Mal ausrief: „Wenn deine Mutter so wählerisch gewesen wäre, dann gäbe es dich gar nicht, du undankbares Makrelchen!“
Hätte sich Triton die Mühe gemacht, seine Tochter zu fragen, wen sie denn gerne heiraten möchte, dann hätte er sich sehr gewundert. Sie war nämlich sehr entschieden und wusste es ganz genau. Sie träumte nicht von Kronen oder Bällen, sondern von Sonnenlicht, Regen und lautem Lachen.
Hier nun kommen wir zu der allseits bekannten Geschichte mit dem Geburtstagsschiff des Prinzen. Angeblich war das ja so, dass die kleine Meerjungfrau heimlich ein allererstes Mal an die Oberfläche kam. Kaum den Kopf über Wasser sieht sie ein Schiff und knall-bang-wush diesen unwiderstehlich attraktiven Prinzen, in seinem aufgeknöpften Hemd und da kann sie natürlich nicht anders, als sich in diesen Prachtskerl verknallen! Ach was verknallen, der Anblick von so viel Muskeln und im aufziehenden Gewitter wehenden Haares reicht, damit die kleine Meerjungfrau alles vergisst und Familie, Herkunft und Stimme aufgibt, um von diesem nichtschwimmenden Schönling am Ende sitzen gelassen zu werden und zu Meerschaum zu verkommen.
Das ist natürlich Unsinn, so dumm ist doch keine Frau!
Nein, es war ganz anders! Unsere kleine Meerjungfrau war keineswegs das erste Mal an der Oberfläche, als das Gewitter aufzog. Was sie da zu schaffen hatte? Und mit wem?
Ja, darauf kommen wir noch – jedenfalls schwamm sie gerade sehr vergnügt und fröhlich singend zurück, als der Blitz in das lächerliche Riesenschiff des Prinzen einschlug und der schöne Prinz über Bord ging.
Die kleine Meerjungfrau rettete ihn tatsächlich, wie das eben Meerjungfrauenart ist. Sie trug ihn ans Ufer, betrachtete sein regloses, aristokratisches Gesicht und seufzte. Aber keineswegs aus Liebe, vielmehr weil der Prinz doch ziemlich schwer war – die Palastküche war berühmt für ihre Desserts!
Und als der Prinz schließlich die Augen aufschlug, da sagte er: „Ich wünschte, ich wüsste, wer mich gerettet hat. Aber na ja – die, die am schönsten aussieht, war’s bestimmt. Oder nein, die die ich immer singen höre! Aber bestimmt ist das ein und dieselbe Frau – denn wer schön singt, muss auch schön aussehen. Und wer schön aussieht ist einem Prinzen würdig!“
Unsere kleine Meerjungfrau schüttelte ein bisschen den Kopf vor so viel Oberflächlichkeit und abends erzählte sie alles ihrer besten Freundin: der Meerhexe Ursula. Die war in Wirklichkeit sehr nett, nur ein bisschen verschroben, weil sie züchtete Aale und trug trotz ihres fortgeschrittenen Alters einen Irokesenschnitt und seeeehr tief ausgeschnittene Kleider. Außerdem hatte sie nie geheiratet, was man allgemein befremdlich fand – Stichwort: unter die Flosse kommen.
Mit ihr lachte unsere kleine Meerjungfrau nun sehr herzlich über den doofen Prinzen und dann nahm sie den Zaubertrank, an dem die Meerhexe die letzten Monate gebraut hatte und schwomm ganz schnell zurück an die Küste. Da lebte nämlich ein Schafhirte – er war ehrlich gesagt, nicht besonders schön und überhaupt nicht reich, aber er war nett und redete mit den Möwen und wenn er versuchte zu singen, da musste unsere Meerjungfrau immer so lachen, dass sie beinahe ertrank – und das will bei einem Fisch etwas heißen. Sie selbst konnte das nämlich wirklich sehr gut, das Singen.
Ihm gab sie den Zaubertrank und davon wuchsen ihm zusätzlich Kiemen und Schwimmhäute zwischen den Zehen, sodass er die kleine Meerjungfrau auch mal unter dem Meer besuchen konnte. Geheiratet haben sie erst später, nachdem die kleine Meerjungfrau keine Lust mehr hatte als Opernsängerin durch die Ozeane zu tingeln und jetzt wohnen sie in einer Hütte am Strand. Sie lesen sich Geschichten vor, kochen Algensuppe, erzählen den Kindern vom Leben unter Wasser und schauen nachts in die Sterne, die in beiden Welten leuchten. Sie streiten manchmal, aber sie lachen mehr und deshalb kann man sie wohl durchaus als glücklich bezeichnen.
Der Prinz aber ist inzwischen schon das dritte Mal geschieden, denn obwohl er immer die schönsten Sängerinnen heiratet, passt es irgendwie am Ende dann doch nicht. Und wenn er nicht gestorben ist, dann sucht er noch heute.
Von Hans- Christian Andersen, nacherzählt von Joan Weng
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