Foto: Jörg Lingrön (42er Lesung, 26.4.2014, Augsburg, „Striese“)
(Horst-Dieter Radke: 3. von rechts, Claudia Kociucki: 4. von rechts)
Interview mit Claudia Kociucki
Es fragt: Horst-Dieter Radke
Drei Sätze über dich, ohne viel nachzudenken.
Bin eine Ruhrpottpflanze, die sich aber auch mal zwischendurch umtopft und gerne dort ist, wo Menschen offen sind und frei miteinander reden. Bin notorisch neugierig. Der dritte Satz? Mh, nehmen wir den von Pythagoras!
Wenn ich auf deiner Homepage nachschaue, sehe ich, dass du eine erfolgreiche »Short Story«-Autorin bist. Sagst du mal etwas zu diesem Genre? Zum Beispiel, welchen Stand die Kurzgeschichte in Deutschland deiner Meinung nach hat?
Das Genre ist sehr kompakt, die Texte sind sehr dicht, überlassen dem Leser viel Interpretationsmöglichkeit, auch weil die Figuren meist nicht so festgelegt gezeichnet sind. Das verlangt beim Schreiben eine große Konzentration auf das Wesentliche. Es bleibt kein Raum für Drumherumgelaber und Ablenkung. Da muss alles sitzen. Diese schreiberische Kompetenz wird oftmals, meiner Meinung nach, nicht ausreichend wertgeschätzt. Da gilt nur der, der Romane schreibt. Was wiederum andere Kompetenzen erfordert. Auch wenn der Literaturnobelpreis 2013 für eine Autorin in diesem Genre schon ein cooles Zeichen war: Die Kurzgeschichte könnte in der Reputation ein wenig Support vertragen.
Warum liegt dir die Form der Kurzgeschichte besonders?
Die Kurzgeschichten waren für mich ein Einstieg ins belletristische Schreiben. Ich schreibe erst seit drei Jahren und habe mit Wettbewerbsbeiträgen angefangen: Verlagsausschreibungen, Live-Battles in den Mayerschen Buchhandlungen der umliegenden Städte etc. Da war es zum einen gut, Texte in einem überschaubaren Zeitraum »fertig« zu bekommen, zum anderen ist es aus den Gründen, die ich oben nannte, gut für das Erlernen des Handwerks: Spannungsbogen, Dramaturgie, Figuren – alles erfordert eine Reduktion auf das Wesentliche. Nicht zuletzt schreibe ich gerne Kurzgeschichten, weil ich dabei ständig neue Stile ausprobieren und neue Figuren in neue Settings platzieren kann und es einfach auch thematisch abwechslungsreich ist. Das gefällt mir und fordert mich immer wieder neu heraus.
Wie schätzt du die Qualität der heute in den Anthologien veröffentlichten Kurzgeschichten ein? Gibt es Herausragendes? Oder ist alles nur belangloses Mittelmaß?
Was mir bei Anthologien, die durch unterschiedliche Autoren befüllt werden, immer wieder auffällt: Die Schere zwischen richtig guten und anderen Texten ist oft sehr groß. Natürlich ist viel auch Geschmackssache: Was dem einen gefällt, muss dem anderen nicht gefallen. Ich habe jetzt zwei Jahre in der Jury der Vestischen Literatur-Eule (dem Literaturpreis des Vestes/Kreises Recklinghausen) gesessen, daher kann ich davon ein Liedchen singen. Mir würde es beispielsweise gut gefallen, wenn es weniger thematische, sondern mehr personenbezogene Anthologien gäbe: Da hätte ich viele Geschichten in einem Buch von einem Autor, der mir zusagt. Andererseits kenne ich auch Sammelbände, bei denen mir ausnahmslos alle Geschichten gefallen.
Bei Facebook hostest du die Seite »Short Meets Story«. Im letzten Jahr gab es monatliche Wettbewerbe. Der letzte Eintrag stammt aber aus dem Januar 2014. Wurde diese Gruppe stillgelegt? Oder geht es vielleicht doch irgendwann weiter?
Erwischt. 🙂 Wir haben festgestellt, dass die monatliche Taktung zu kurz ist. Viele erfahren erst zu spät von der aktuellen Ausschreibung und haben dann kaum noch Zeit, einen Text beizutragen (auch wenn er nur 160 Zeichen lang ist) oder genügend Leser zu erreichen, die die Geschichten liken. Daher sollte es eine Erhöhung der Laufzeit der Runden geben. In der ersten Jahreshälfte bin ich – ehrlich gesagt – nicht dazu gekommen, neu aufzulegen. Die Zahl 42 hat mich ziemlich beschäftigt. 🙂 Danke, dass du da ein wenig piekst. Ich gelobe Besserung, »SMS« geht in Kürze weiter.
Du gehörst auch zu denen, die die Klappe nicht halten können. Will sagen: Du bist auf Lesebühnen und ähnlichen Veranstaltungen (zum Beispiel »am Tresen«) präsent, um deine Texte vorzulesen, vorzusprechen … vielleicht sogar vorzusingen?
*lach
Als der liebe Gott die Talente verteilt hat, habe ich anscheinend grad nicht zugehört, denn als »Singen« an der Reihe war, habe ich nicht »Hier!« geschrieen und wild mit den Fingern geschnipst. Leider. Ich würde es soooo gerne können. Aber – ähem – ich hatte in der Tat für meine Portugal-Lesungen im letzten Jahr einen deutschen Songtext zu einem portugiesischen Pop-Rock-Song von Mafalda Veiga geschrieben und wollte den am Klavier dann auch zum Besten geben. Leider hatte ich vorher eine Lungenentzündung und war überhaupt noch nicht bei Stimme. Oder »zum Glück« fürs Publikum – die Meinungen sind geteilt.
Was die Lesungen anbetrifft: Ich stehe gern auf der Bühne, das macht mir Riesenspaß! Daher freue ich mich besonders auf mein erstes richtiges Bühnenprogramm, mit dem ich ab Herbst mit meinem Kollegen Robert Pfeffer auf Tour gehe. Titel: »Ohne Ziel ist auch ´ne Richtung!«
Für die Zukunft ist ein »Hamletprojekt« geplant. Fällt dir etwas ein, was uns darauf noch neugieriger machen kann als der Name ohnehin schon?
Im Oktober/November finden in Bochum zum 450. Geburtstag Shakespeare-Wochen statt. Meine Autorenkollegin Heike Wulf, die ich 2012 als Gastgeberin der regelmäßigen Wettbewerbe in der Mayerschen in Bochum/Essen/Dortmund kennen gelernt hatte, sprach unsere vierköpfige Lesungstruppe »Das gibt es nicht!« im letzten Jahr an, ob wir nicht gemeinsam zu fünft den »Hamlet« ins Ruhrgebiet plotten wollen. Die drei Jungs und ich hatten bei ihr in einem Wettbewerb sehr erfolgreich einen gemeinsamen Text ins Rennen geschickt und daher wollte sie uns gerne an Bord holen. Somit schreiben wir nun (gefördert durch Drittmittel) den »Hamlet« – aka »Kotelett« – um; die Uraufführung der szenischen Lesung ist am 27.10. in der Buchhandlung Gimmerthal in Bochum. Wir gehen aber mit dem Stück auch danach ein wenig auf Tour. Ich freue mich schon auf meine »Ophelia« (genannt »Philly«), die leider – wie im Original – ein schlimmes Ende nehmen wird. Zum Stück: Es wird kein Ruhrpott-Klamauk, wir können aber versprechen, dass es trotz der Tragödie heiter werden wird.
Offensichtlich arbeitest du auch gern im Team. Ist Schreiben im Team etwas, was für dich selbstverständlich ist? Manche halten das ja für etwas Unnatürliches. So wie Gruppensex.
*lol
Ich komme ja aus der wissenschaftlichen Schreibe und bin es von der Arbeit her gewöhnt, »Schwarmintelligenz« zu nutzen. Wenn man einmal gelernt hat, Feedback (wenn es denn wohlwollend gemacht ist) als Chance und nicht als Angriff zu verstehen, kann man auch die emotionale Ebene dabei herunterfahren und sich auf die sachliche Ebene konzentrieren. Die einzelnen Punkte geht man durch und überlegt für sich: Was steckt dahinter? Kann ich da etwas mit anfangen? Möchte ich an der Stelle ändern oder meins beibehalten? Dieser Prozess bringt einen handwerklich (und natürlich inhaltlich) enorm weiter. Als ich im letzten Jahr das Experiment gewagt habe, Louis Jansen, Michael Meyer und Jochen Ruscheweyh, die ich als Autoren-Typen einfach super fand, anzusprechen und eine gemeinsame Textproduktion vorzuschlagen, wusste ich noch nicht, wie das werden und ob das klappen würde. Aber es wurde großartig! Nicht immer einfach, denn man muss auch verhandeln, verkloppen, vertrösten, verarbeiten. Mittlerweile habe ich schon einige weitere Gemeinschaftsprojekte hinter mir, z. B. einen Wettbewerbsbeitrag mit Kaelo, und ich finde, dass der Output durch das gemeinsame Schreiben gewinnt. »Unnatürlich?« Nein. Dauert zwar länger, als wenn man alleine schreibt, aber ich find’s klasse! Muss halt passen.
Auf deiner Homepage taucht immer wieder das Wort »Portugal« auf. Du willst sogar eine Kurzgeschichte in Portugiesisch verfasst haben. Was hat es damit auf sich?
Ich habe die sogar in der Tat verfasst, und zwar für den 19. Literaturwettbewerb in Nazaré im August 2013. Wir waren im Sommer einen Monat vor Ort und das passte gut. Es ging um ein Zitat von Camus; gewonnen habe ich nix, aber es war eine tolle Erfahrung. Echt jetzt, nicht nur so dahingesagt. Ich schreibe auch schon mal Gedichte auf Portugiesisch, und viele Geschichten spielen dort, mit denen ich dann irgendwann einmal eine Anthologie zusammenstellen will. Eine Hotel-Geschichte, die in einer Antho des Schreiblust-Verlags veröffentlicht wurde, ist soeben von meiner portugiesischen Studienkollegin übersetzt worden. Das hätte ich alleine, »rückwärts« quasi, nicht hinbekommen. Ich schreibe gerne in anderen Sprachen, weil man da noch einmal ganz andere stilistische Möglichkeiten hat.
Außer Portugal gibt es für dich noch ein zweites »P«. Du lebst, liebst und liest im Pott (für Fremde: Pott = Ruhrgebiet). Ist das für dich eine Notlösung oder fühlst du dich dort wohl und zu Hause?
Ich bin in den Pott hineingeboren worden und ich denke, dass der Storch mich da ganz bewusst abgeworfen hat. Die Menschen liegen mir hier einfach: Da wird gesagt, was Sache ist. Offen und direkt, hart, aber herzlich. Es gefällt mir hier, aber es wird vermutlich nicht meine Endstation sein. (Für Fremde: Es ist hier übrigens grüner, als ihr denkt!) Ich bin eben auch ein kleiner Globetrotter, fühle mich in anderen Umgebungen und Sprachen schnell wohl, daher sind meine Wurzeln nicht einbetoniert. Mein »Herzensort« liegt tatsächlich in Portugal, an der Silberküste. Das hat auch etwas mit der Sprache zu tun, die mir einfach aus der Seele spricht. Oder umgekehrt. Wie man es nimmt.
Nun noch etwas zu einer Autorengruppe, zu der du dich unvorsichtigerweise gesellt hast: Wie hast du zu den 42er Autoren gefunden und warum?
Als ich 2011 mit dem Schreiben anfing, habe ich zunächst nach allen möglichen Wettbewerben gesucht und bin natürlich auf den legendären Putlitzer Preis gestoßen. Ich habe mich an der »Mist«-Ausschreibung beteiligt, was aber wohl selbiger war. Dann trug es sich zu, dass ich – zum Kaloriensparen – auf den Adventskalender der 42er zurückgegriffen, sprich: am Wettbewerb teilgenommen habe. Einige 42er kannte ich über Facebook und durch Buchmessen schon flüchtig und das Ganze hat sich dann intensiviert. Ausschlaggebend war der Wink des Schicksals, dass ich mit 42 Jahren mit dem Schreiben begonnen habe. Wie wir im Pott sagen: »Da machste nix.« Hätte aber auch schlimmer daherkommen können, die Vorsehung: Ich fühle mich sauwohl in diesem verrückten, kreativen, hilfsbereiten Haufen!
Wenn du magst, kannst du auch noch etwas zu deinen literarischen Vorbildern sagen.
Privat lese ich – wenn ich überhaupt dazu komme – hauptsächlich Thriller und Krimis. Literarische Vorbilder in dem Sinne habe ich keine, mich haben aber sicherlich einige Schriftsteller geprägt. Zu Schulzeiten fand ich Shakespeare und seine Zeit ganz toll, war fasziniert von den Sonetten und den Theaterstücken. Im Studium ging das dann mit den Portugiesen weiter, die komplette Literaturgeschichte rauf und runter. Hängengeblieben bin ich auch dort im 15./16. Jahrhundert, vor allem bei Camões und seinen Sonetten. Daher schreibe ich vermutlich auch so gerne selbst welche; ich liebe diese dichte Form und das Reduzieren auf minimalen Raum. Saramago, Lobo Antunes und Pessoa liebe ich aber ebenfalls. Ein bisschen kafkaesk, Letzterer, aber nun gut. Ansonsten stelle ich mir gerne die Bücher von mir persönlich bekannten Autorenkolleginnen und -kollegen ins Regal. Wundervolle Literatur! Mit Widmung und Herz und persönlichen Erlebnissen – da können die oben Genannten nicht mithalten.
So, fettich! … Ne, hömma, dat geht anders … Habedieehre, Madame … Ne, aunich … watte ma, vielleicht so: Ich danke fürt Gespräch. 🙂
Sehr gerne.
Ein schönes Interview, in dem ich wieder ein wenig mehr über Claudia erfahren habe. Ich wusste, dass ich noch nicht alles weiß! Gut gefragt und gut geantwortet.
Viele Grüße
Ingrid