Die Wundermelodie
Maurice Connor galt als der tüchtigste Flötenspieler in ganz Munster. Es gab kein Lied, das er nicht kannte, und was das Merkwürdigste war, er konnte einen Tanz spielen, der alles um ihn herum auf die Füße brachte. Alle mussten im Takt mit hüpfen. Nie wurde eine Hochzeit oder Kindstaufe gefeiert, bei der er nicht eingeladen war.
Da er blind war, so führte ihn seine alte Mutter gewöhnlich hin.
So war er auch eines Tags an den Strand von Trafaska gekommen, um den jungen Leuten zum Tanze aufzuspielen. Er spielte herrlich, und alle sagten, nie eine lieblichere und fröhlichere Musik gehört zu haben. Es fragte ihn einer, ob er auch etwas trinken wolle.
„Gewiss,“ erwiderte er.
„Was willst du trinken?“
„Das kommt mir so genau nicht darauf an, wenn es nur kein Wasser ist.“
„Ich habe aber kein Glas bei der Hand; hier ist die Flasche!“
„Das macht nichts, mein Mund hält gerade ein Glas voll; ich habe es schon oft genug probiert.“
Maurice setzte an und reichte dem freundlichen Paddy die leere Flasche zurück mit der Bemerkung, dass er selten solch guten Schnaps getrunken habe.
So kam es dann, dass Maurice allmählich in eine andere Stimmung kam und seine berühmte Zaubermelodie spielte. Augenblicklich fingen alle um ihn herum zu tanzen an, und er blieb selbst nicht ruhig dabei. Seine Mutter sprang herum, wie ein achtzehnjähriges Mädchen und sogar die Fische hüpften aus dem Wasser. Ja, mit der Zeit kamen auch die Krebse und andere Seetiere auf das Land und nahmen an dem fröhlichen Tanz teil. Maurice blies immer zu und hüpfte dabei so hoch, wie er konnte. Da hörte er auf einmal eine Mädchenstimme zu ihm singen:
„Ich wohne tief im Wasser,
Ein Königskind bin ich,
Komm‘ mit mir, Maurice Connor,
Und nimm zum Weibe mich.
Nimm mich zur Frau, du wirst dann
Der Fische König sein;
Und Schätze von Gold und Silber
Die nennest du dann dein!“
Maurice erwiderte jedoch, ebenfalls singend:
„Ich bin dir sehr verbunden,
Hab‘ Gold und Silber gern,
Auch möcht‘ ich einmal spielen
Den königlichen Herrn.
Auch deines Vaters Tochter
Ist mir sehr angenehm,
Jedoch das salz’ge Wasser
War mir stets unbequem!“
Doch die schöne Jungfrau ließ sich nicht abwimmeln. Sie bat und bettelte inständig und mit schmeichelnden Worten, mit ihr zu gehen.
Maurices Mutter wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. „Um Gotteswillen,“ rief sie aus, „er wird doch wohl nicht dieses schuppige Frauenzimmer heiraten wollen! Das ist doch wider die Natur. Und wenn ich dann eines Tages Großmutter werden sollte, wie leicht könnte es da geschehen, dass ich meinen Enkel auf dem Teller habe. Maurice, bleibe bei deiner alten Mutter, die dich in der christlichen Religion erzogen hat!“
Aber Maurice schien taub geworden zu sein, denn er tanzte und spielte immerzu und ließ sich’s in der Gesellschaft der schönen Seejungfrau recht wohl sein.
„Mutter“, sagte er endlich, „ich werde jetzt zum Fischkönig und gehe mit dem lieblichen Mädchen; und zum Zeichen, dass ich lebe, werde ich dir jedes Jahr ein Stück brennendes Holz nach Trafaska schicken!“ Danach hüllte ihn die Nixe in ihren großen Mantel, eine Welle kam und nahm sie beide mit.
Maurice hielt Wort. Er schickte jedes Jahr unter großen Schwierigkeiten einen brennenden Balken nach Trafaska. Ein Paar neue Schuhe wären allerdings ein passenderes Geschenk für seine Mutter gewesen, aber er hatte nun einmal sein Wort gegeben.
Doch die arme Frau erlebte die Ankunft des ersten brennenden Balkens nicht; denn schon drei Monate, nachdem sie ihren Sohn an die Wasserwelt verloren hatte, legte sie sich ins Grab.
Horst-Dieter Radke
nach Knortz, Karl: Irländische Märchen, Zürich, 1886
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