Ein bisschen Grün und jede Menge Himmel oder Schreibort: Mit Aussicht

Über Arbeitsplätze von Schriftstellern sagt ja jeder etwas anderes. Irgendeine Schreibratgeberin – ich glaube, es war Bonni Goldberg – schrieb mal, sie hätte ein Kapitel eines ihrer Bücher am Flughafen, auf ihrem Rucksack sitzend (oder an ihn gelehnt?) geschrieben und findet, dass Schriftsteller überall schreiben können sollten. Stephen King hingegen empfiehlt ein Arbeitszimmer, in dem der Schreibtisch nicht am Fenster steht, wegen der von draußen zu erwartenden Ablenkungen, und Schreiben in Cafés funktioniert bei ihm gar nicht.

Bei mir auch nicht. Aber ich habe ein Arbeitszimmer. Entdeckt habe ich es an einem Novemberabend vor ein paar Jahren, als ich auf Wohnungssuche war. Mit zwanzig anderen Interessenten schlich ich durch die Wohnung; es war eng und die Vormietermöblierung war nur spärlich von 40-Watt-Birnen beleuchtet. Trotzdem erkannte ich in dem kleinen würfelartigen Zimmer sofort mein Arbeitszimmer. Mit Maßen von zweifünfzig mal zweifünfzig mal zweifünfzig war es gerade groß genug, um mir meinen Schreibtisch, ein Bücherregal und einen Lesesessel darin vorzustellen und zu wissen: hier passt nichts anderes hinein als ich mit allen Romanen, die ich noch schreiben will. In bester Ich-finde-das-steht-mir-zu-Manier erklärte ich dem Makler, dass ich die Wohnung unbedingt haben muss und bis heute bin ich überrascht davon, wie überzeugend ich sein kann.

Seitdem schreibe ich in einem Würfel. Der Schreibtisch steht dort, wo ich ihn spontan gesehen hatte, nämlich am Fenster(sorry, Herr King). Eine gelb gestrichene Wand fungiert als riesiger Notizblock. Dort hängen Arbeitsanweisungen zu meinem aktuellen Roman. Und Hinweise auf Kurzgeschichtenwettbewerbe; ich hoffe immer, dass ich davon inspiriert werde, wenn die Themen mir ständig vor Augen sind – manchmal klappt das sogar. Neben dem Schreibtisch habe ich einen Wandklapptisch aufgehängt, an dem ich wahlweise stehend arbeite oder – immer öfter – mich auf dem Schreibtisch störende Papierstapel ablege. Diese bieten sich auch als Prokrastinierungshilfe an: schließlich müssen diese Papiere aufgeräumt werden. Und schon könnte ich mich wieder stundenlang vorm Schreiben drücken – ein Impuls, dem ich manchmal nachgebe. Lieber kaufe ich aber einfach nur neue Ablagekörbe, stelle sie ins Bücherregal, stopfe das Papier dort rein und verschiebe das „richtige Aufräumen“ auf später. Meine Bücher sind deswegen inzwischen ins Wohnzimmer umgezogen.

Das Beste an meinem Arbeitszimmer aber ist der Blick aus dem Fenster: viel Himmel und etwas Grün. Dort habe ich das Gefühl, mehr brauche ich nicht zum Leben: einen Ort zum Schreiben mit etwas Grün und viel Himmel.

Der Rest der Wohnung erwies sich übrigens auch als Glücksgriff. Im vierten Stock gelegen und mit Fenstern in drei Himmelsrichtungen bietet sie mir immer wieder die Gelegenheit für einen frischen Blick: nach draußen und auf den Text. Im Winter schreibe ich gern am nach Süden gelegenen Wohnzimmerfenster, denn dort gibt es ein paar Stunden lang Sonne. Im Sommer schreibe ich entweder auf dem ebenfalls nach Süden gelegenen Balkon, oder – wenn es mir dort zu heiß wird – am Küchentisch, beschattet von Birken und Ahornbäumen vor dem Fenster. Mir war vorher gar nicht klar, wie nötig ich das Tageslicht habe – dafür stehe ich sogar im Morgengrauen auf.

 Wenn Sie sich fragen, ob so viel Sucht nach Grün, Himmel und Tageslicht mich nicht vom Schreiben abhält, kann ich Sie beruhigen: Wenn es sein muss, schreibe ich auch im Zug oder im Flugzeug. Ich habe schon in einer ziemlich dunklen Souterrainwohnung in Marseille geschrieben oder in einer ebenso dunklen Erdgeschosswohnung in Köln. Aber angenehmes Ambiente schadet beim Schreiben nicht.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen etwas Grün und jede Menge Himmel. Oder was immer für Sie ein angenehmes Ambiente sein mag.

Ihre Dorrit Bartel

 

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