Ernste Worte

Kürzlich beklagte sich in einer der zahllosen Facebook- Gruppen eine Autorin bitterlich über ihre Testleser. Die würden ihre Texte entweder gar nicht lesen oder nur absolut minimal kommentieren und sie müsse demnächst mal ein ernstes Wort mit ihnen reden. Ich verspürte sofort den Impuls, mich schützend vor meine Testleser zu stellen und beruhigte mich erst nach einem Blick auf das Profil der sich beschwerenden Autorin: Wir haben sicher nicht dieselben Testleser, denn ich schreibe keine Fantasy. Ich entspannte mich und dachte: Es ist eine Frage der Reihenfolge. Ich zumindest rede mit meinen Testlesern ein ernstes Wort, BEVOR sie meine Texte bekommen.

Das allererste ernste Wort ist zunächst die Frage, ob sie überhaupt und wirklich Lust haben, Testleser zu sein. Also mehr dazu zu sagen als: „Hm, gefällt mir.“ Schon an dieser Stelle sind mir potentielle Testleser abgesprungen, weil sie keine Zeit hatten, es sich nicht zutrauten oder – das ist meine Interpretation – sich schlicht davor fürchteten, einen mittelschlechten Roman zu lesen und mir dies auch noch sagen zu müssen. Ich war nicht böse drum, genau deshalb rede ich ja mit meinen (potentiellen) Testlesern, bevor ich etwas von ihnen erwarte.

Testleserschaft ergibt sich manchmal fast automatisch. Bei unseren Blogtexten, zum Beispiel, sind wir Autoren untereinander Testleser. Meine Kollegen geben mir meinen Text mit Anmerkungen versehen zurück, damit ich ihn verbessern kann, bevor er an die Öffentlichkeit geht.

Manchmal habe ich die halböffentlichen Besprechungstext-Runden des 42er-Forums in Anspruch genommen. Zwischen drei und zwanzig Testleser in so einer Runde können einen Text (und seinen Autor) schon massiv durch- und zurechtschütteln. Lange Zeit war ich selbst eifrig kommentierende Testleserin in dieser Runde, schließlich lernt man nicht nur sehr viel vom Feedback, das man bekommt, sondern auch von dem, was man selbst gibt. Während ich früher vor Ehrfurcht vor den Texten anderer – insbesondere schon veröffentlichter Autoren – kaum gewagt hatte, einen Text zu kritisieren, habe ich inzwischen Freude daran, Schwachstellen in einem Text aufzustöbern. Die Profis wollen nämlich wirklich wissen, was ich von dem Text halte. Profi ist nicht, wer alles kann, sondern wer hinzulernt und sich weiterentwickeln möchte.

Natürlich ist es eine schmerzhafte Erfahrung, zu hören: „Funktioniert gar nicht.“ Aber ich weiß inzwischen: Es geht nur um den Text. Wenn der Testleser sagt, er hat aus dem Text nicht das gelesen, was ich gerne hätte, liegt es vermutlich am Text.

Eine sehr nützliche Lektion, die ich dabei gelernt habe: Es hat nichts mit mir persönlich zu tun. Allein die Tatsache, dass sich jemand die Mühe macht, mir Feedback zu geben, ist ein Ausdruck von Wertschätzung. Es gibt so viele Texte auf der Welt, die womöglich besser, interessanter, schöner oder was auch immer als meine sind. Wenn jemand sich also  entscheidet, meinen Text im Arbeitsstadium zu lesen, bin ich dafür dankbar.

In diesem Jahr war es endlich so weit, dass ich Testleser für meinen ersten Roman suchen durfte. Ähnlich wie meine Kollegin Joan habe ich versucht, eine gute Mischung bei den fünf Testlesern zu finden: zwei Männer, drei Frauen. Drei Autoren, zwei Nicht-Autoren. Altersspanne zwischen dreißig und Mitte fünfzig. Alle haben meinen ersten Roman zu Ende gelesen. Eine Leserin gestand mir, sie hätte lange gebraucht, ehe sie anfing, meinen Roman zu mögen, aber schließlich sei genau das passiert. An manchen Begriffen haben sich unabhängig voneinander mehrere Testleser gestört. Jeder hat seine besondere Sichtweise und ich bin froh um jede Anmerkung, auch wenn ich natürlich nicht alle davon bei der Überarbeitung berücksichtigen kann. Nach der Überarbeitung werde ich wahrscheinlich noch eine Runde mit Testlesern veranstalten.

Vielleicht haben Sie ja Lust, sich zur Verfügung zu stellen?!

Wie gesagt, dann würde ich erst einmal ein ernstes Wort mit Ihnen reden.

Testende Grüße

Ihre Dorrit Bartel

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5 Gedanken zu „Ernste Worte“

  1. Liebe Frau Bartel,

    Ihren Beitrag kann ich nur unterstreichen.
    Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schwer es sein kann geeignete Testleser zu finden. Es würde mich freuen, wenn Sie mich (bei Bedarf auch ernst) ansprechen.

    Freundliche Grüße
    Arno Grohs

    1. Lieber Arno Grohs,
      vielen Dank für das Angebot.
      Ich behalte es auf jeden Fall im Kopf und melde mich gern, wenn ich wieder Bedarf an Testlesern habe. Wo Sie sich doch von ernsten Worten nicht abschrecken lassen 🙂
      Freundliche Grüße
      Dorrit Bartel

  2. Man darf das „Testlesen lassen“ aber auch nicht zur Sucht werden lassen. Wenn nach der ersten Testleserrunde die Überarbeitung vorliegt, sollte nur in Ausnahmefällen noch einmal ein Testleser bemüht werden. Die offiziellen Testleser für diese Fassung heißten „Lektoren“.

    1. HD, Du hast ja recht. Aber es ist doch mein „erster“, da sei mir ein bisschen mehr Unsicherheit gestattet. Und noch habe ich keinen Verlag, der mir einen Lektor zur Verfügung stellen mag. Aber vielleicht kommt das ja noch 🙂

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