Es kann immer passieren – Tom Liehr im Gespräch mit 42erAutorin Ulrike Renk – Teil 1

Ulrike Renk, Krefelderin und Jahrgang 1967, hat im Jahr 2005 ihren ersten Roman veröffentlicht, einen Regionalkrimi mit dem Titel „Seidenstadt-Leichen“. Drei Jahre später hat sie ihren ersten Vertrag beim Berliner Aufbau-Verlag abgeschlossen – einem der größten unabhängigen Verlage Deutschlands – und gleichzeitig das Genre gewechselt, hin zum historischen Roman. Weitere neun Jahre später konnte sie mit ihrer „Ostpreußen-Saga“ die Bestsellerlisten erobern – und damit einen Traum verwirklichen, den wahrscheinlich jeder Autor hat. Tom Liehr, selbst Schriftsteller, hat sie zu diesem Geschehen für den „zweiundvierziger“ befragt.

TL: Im Oktober 2017 bist du mit „Die Jahre der Schwalben“, dem zweiten Band deiner Ostpreußen-Saga, auf Platz 17 in die Spiegel-Bestsellerliste eingestiegen. Kannst du dich noch daran erinnern, wie du das erfahren hast – und was das für ein Gefühl war?

UR: Es war ein warmer Herbsttag und meine beste Freundin Kirsten war da – wir hatten zusammen einen Garteneinsatz gemacht und uns des Unkrauts angenommen.
Wir gingen in die Küche, um uns ein Glas kalten Weißwein zu holen, und wollten noch ein wenig auf der Terrasse in der Sonne sitzen. Das Telefon klingelte – es war Gerald Drews, mein Agent.
Er fragte mich, ob ich in meine Mails geschaut hätte – hatte ich natürlich nicht. Und da sagte er mir, was der Verlag geschrieben hatte: Platz 17 auf der Spiegelliste. Ich habe es im ersten Moment gar nicht so recht
realisiert. Er sagte: „Du musst feiern.“ Und ich so: „Klar, später.“
So wirklich kapiert habe ich es erst im Laufe des Abends. Mein Mann hat dann eine Flasche Champagner aufgemacht.
Es war schon ein tolles Gefühl – zu wissen, dass etliche Leute dieses Buch gekauft und gelesen hatten.

TL: Autoren, Verlage und Agenturen erfahren das früher als das Publikum, damit sie sich darauf vorbereiten können. Was ist am Tag der Publikation geschehen? Wie haben andere Leute, deine Leser, die Literaturwelt, die Presse darauf reagiert, dass du dich nunmehr – und als erste 42erAutorin – offiziell „Bestsellerautorin“ nennen durftest?

UR: Um ehrlich zu sein, kann ich mich daran gar nicht mehr so genau erinnern. Also gab es keine Detonation im Raum oder einen Quantensprung oder so etwas.
Bestsellerautorin war ich tatsächlich schon vorher – zwar unter Pseudonym und mit einem Sachbuch –, aber eben auch schon auf der SBL. Damals wurden mir fantastische Verkaufszahlen prognostiziert – aber das stimmte nicht. Die Bestsellerliste ist eine Liste, die Verkaufsränge widerspiegelt – in Abhängigkeit von anderen Verkaufsrängen in dem Genre.
Auf der Liste zu stehen, bedeutet nicht unbedingt, plötzlich riesengroße Verkäufe generiert zu haben. Aber möglich ist das natürlich schon.
Und Bestsellerautorin auf der SBL zu sein, bedeutet auch nicht, dass man großartige Literatur geschrieben hat. Und eigentlich ist es das, was ich will: Bücher schreiben, die Leute bewegen, sie erreichen, beschäftigen.

Ja, man wird anders wahrgenommen – in verschiedenen Bereichen.

TL: Und wie hast du das für dich persönlich empfunden? Hast du damit eine Art persönlichen Meilenstein erreicht oder etwas in dieser Art? Hat es dein Verhältnis zu deiner eigenen Tätigkeit geändert?

UR: Puh … Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es nichts für mich bedeutet. Es bedeutet sehr viel für mich. Leser nehmen mich wahr, nehmen mich anders wahr als zuvor – das liegt aber auch daran, dass ich anders verkauft und dargestellt werde.
Ich weiß nicht, ob ich jetzt einer deiner Fragen vorauseile – aber der Listenplatz von den „Kranichen“ hat mein Leben sehr viel mehr verändert als der von den „Störchen“. (Anm. TL: „Die Zeit der Kraniche“ war der dritte und erfolgreichste Band der Reihe.)

TL: Waren der Verkaufserfolg und damit der Einstieg in die Bestsellerliste eigentlich unerwartet oder hatte es besonders energische Marketingaktivitäten seitens des Verlags gegeben?

UR: Es war unerwartet. Der erste Band hatte sich ordentlich verkauft und war schon in die nächsten Auflagen gegangen – gute Midlist, würde ich sagen. Dass die Schwalben so viel besser liefen, damit habe ich nicht gerechnet. Und es gab auch keine besondere Marketingmaßnahme vom Verlag – erst nachdem ich auf der SBL war, kam ein superschöner Trailer .

Das ist ja in der Buchbranche oft so: Bücher und Autoren, die schon erfolgreich sind, werden noch mal besonders beworben. Dabei haben sie es schon irgendwie geschafft. Die anderen, die zwar gut laufen, aber nicht supergut, bekommen wenig Marketing. Das ist zumindest meine Erfahrung.

TL: Du hast im Jahr 2005 deinen ersten Roman veröffentlicht, bei Leporello, einem kleinen Verlag (den es übrigens nicht mehr gibt). Mein Debüt ist zwei Jahre vorher bei Aufbau erschienen, wo du seit 2009 unter Vertrag bist. Ich kann mich gut daran erinnern, wie ich in der Erscheinungswoche permanent alle Büchercharts gecheckt habe, weil ich ganz selbstverständlich davon ausgegangen bin, dass der Roman dort einsteigen würde – die Frage war nur, an welcher Position. Es hat noch zwei, drei Jahre gedauert, bis ich den Frust darüber verdaut hatte. Inzwischen weiß ich sehr viel mehr über Charts, die sogenannte Midlist und die Bedeutung von Verkaufszahlen. Waren deine Erwartungen am Anfang und dann bei Aufbau ähnlich? Wie bist du damit umgegangen, dass sich der Erfolg erst nach und nach einstellen wollte?

UR: Bei Leporello war an die Spiegelliste natürlich gar nicht zu denken – ein kleiner, lokaler Krimiverlag mit einer kleinen Auflage. Ich war damals schon geflashed, weil die erste Auflage (das waren damals 3000 Bücher) sich innerhalb von sieben Wochen verkauft hatte – am Niederrhein natürlich nur. Das war schon ein tolles Gefühl. Dann habe ich „Die Frau des Seidenwebers“, meinen ersten historischen Roman, bei Aufbau platzieren können. Aber tatsächlich lag der Gedanke an die Bestenliste ganz fern meiner Wahrnehmung. Erst einmal ging es darum, ob sich der Roman überhaupt verkauft – es war ein ganz anderes Thema, ein ganz anderes Genre – allerdings das, in dem ich immer schon hatte schreiben wollen. Krimi war eigentlich nie so mein Ding. Ich liebe es, Krimis zu lesen, hatte mir aber nie ausgemalt, sie zu schreiben. Als ich das dann tat und sie gekauft wurden, war das natürlich toll. Aber eigentlich wollte ich immer die Bücher schreiben, die ich jetzt schreiben kann und darf.

Ich hatte keine Ahnung von Auflagen größerer Verlage, von Zahlen und Listen – das kam erst so mit der Zeit. Dennoch habe ich nicht damit gerechnet, auf der SBL zu landen. Ich war und bin immer froh, wenn die Verkäufe gut laufen, ich auf der Midlist und Backlist lande.

Was letztes Jahr dann mit der Ostpreußensaga passierte, war ziemlich unfassbar für mich. Grandios. Ich habe mir meinen Erfolg nach und nach erschrieben – ziemlich solide Arbeit und kein Höhenflug.

Es ist zwar inzwischen so, dass ich in den ersten zwei Wochen nach Erscheinen eines Buches montags auf einen Anruf oder eine Mail vom Verlag schaue – aber die Listen verfolge ich nicht. Auch „Jahre aus Seide“ ist auf der Spiegelliste gelandet – nicht so hoch wie die Kraniche. Aber das Buch wird gelesen – und es ist ein wichtiges, aber auch schwieriges Buch. Deshalb freuen mich die Leserzahlen.

TL: Gab es je einen Zeitpunkt, an dem du bereut hast, dich für die Schriftstellerei entschieden zu haben?

UR: Nein. Es ist schon seit meiner Kindheit mein Traumberuf, auch wenn es einige Jahre gedauert hat, bis ich es wirklich probiert habe. Ich hatte mir eine Zeitspanne von fünf Jahren gesetzt – in der Zeit wollte ich es schaffen, in einem ordentlichen Verlag zu veröffentlichen. Sollte das nicht klappen, hätte ich es wenigstens versucht. Es klappte aber ziemlich schnell – erst im Regioverlag, dann bei Aufbau.
Im Gegensatz zu vielen anderen KollegInnen habe ich keinen anderen Brotjob, und irgendwann musste ich mit der Schreiberei auch Geld verdienen. Zum Glück hatte meine Agentur (Agentur Gerald Drews) einige Projekte für mich: Auftragsbücher, Ghostwriting. Für ein paar Jahre habe ich bis zu sechs Bücher im Jahr geschrieben. Das war extrem anstrengend und brachte auch nur mäßig Geld – aber es brachte Geld.

Inzwischen muss ich das nicht mehr und darüber bin ich froh. Ich kann die Bücher schreiben, die ich schreiben möchte, zumindest im Moment. Und da reichen mir eineinhalb bis zwei im Jahr.
Schreiben ist immer noch mein Traumberuf, was vielleicht auch daran liegt, dass ich nicht stricken kann.

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