Frankfurter Buchmesse

FBM14, Tag 1

8.10.2014, Tag 1: Weltweitwichtig

Nach zehn Tagen selbstgewählter Schreibeinsamkeit aus dem Flugzeug ausgespuckt zu werden, war hart: Gedränge, Gerüche, Gemurmel. Ein Dankeschön an dieser Stelle an die Betriebsamkeit des Frankfurter Flughafens, die mir ein perfektes Training für die Realität der kommenden fünf Buchmessetage lieferte. Nach drei Haltestellen war ich das Dauergekuschel mit wildfremden Menschen in der Straßenbahn schon leid, nach weiteren dreien hatte ich keine Lust mehr, anderer Leut‘s Beziehungsproblemen, Einkaufslisten und Veranstaltungstipps für den Messebesuch am Handy zu lauschen. Too much information. (In allen Sprachen dieser Welt und so laut, dass man sich in Waggon 2 locker hätte in das Gespräch einmischen können.)

Von derlei Dauerbeschallung dauergenervt wünschte ich mir nichts sehnlicher als das Meeresrauschen zurück. Dazu ein gutes Buch.

Ach ja, da war ja was. Das böse ‚B‘-Wort, das so vielen schreibenden und lesenden Menschen schon Wochen vor der Messe auf den Zeiger ging: Man kann es nicht mehr sehen, nicht mehr lesen, nicht mehr hören – und doch: Ohne geht irgendwie auch nicht. Buchmesse, wir kleben an dir. Du omnipräsentes Thema, wehwehweh-weltweitwichtig-dotcom.

Wie wichtig, wurde mir schon kurz vor der zweiten Straßenbahnhaltestelle nach dem Frankfurter Hauptbahnhof klar. Neben mir: drei ‚Buchmenschen‘, schweigend ins Gespräch vertieft. An den betretenen Mienen war abzulesen, dass sie sicherlich gerade die Auswirkungen der neuen 10 Euro-Scheine auf die Weltwirtschaftskrise, die verzweifelten Versuche zur Eindämmung grassierender Pandemien oder den Verlust der Tischtennis-Europameisterschaft an Portugal vor zwei Wochen zum Thema hatten. Dachte ich. Bis ich merkte, worum es wirklich ging:

#1: „Er ist wirklich fertig … wirklich fertig, dass sein Buch nun doch nicht rauskommt. Nach einem [Ausrufezeichen im Gesicht] Jahr Verhandlung.“ (Die beiden anderen Beteiligten schweigen. Eine Minute der Mit-Trauer. Alle zwölf Mit-Passagiere auf den umgebenden zwei Quadratmetern legen ebenfalls eine stille Minute ein. Auf die stille Treppe können sie nicht, da stehen zwei übermannsgroße Koffer zweier asiatischer Touristen.)

#2 (verschwörerisch flüsternd mit gesenktem Kopf): „Das war ja zu erwarten, nachdem es dem Verlag so schlecht geht.“ (Keine Antwort – man schaut melancholisch durch die beschlagenen Scheiben nach Draußen in die dunkle Nacht. Das Kondenswasser aus Messebesucherschweiß und Eingeborenenatem rinnt wie Tränenflüssigkeit direkt hinunter in den Main, den wir gerade überqueren. *Weltschmerz)

#3: „Was soll er denn jetzt machen?“ (Ich bin geneigt, meine Gitarre herauszuholen und einen Fado anzustimmen.) „Mit seinem Nischen-Thema kommt er doch nirgendwo unter!“ (Nischen? Die alte Dame links neben mir schaut mich entrüstet an und drückt ihre Einkaufstasche mit den darin enthaltenen Putzmittel fester an sich. Heutzutage putzt ja anscheinend wirklich niemand mehr in den Ecken! Also früher … *jadoch)

#2: „Der Verlag hat ihm ein E-Book als Alternative vorgeschlagen. Eine Kooperation mit [XY].“

#1 schnaubt verächtlich.

#3 schließt für einen kurzen Moment die Augen und fasst sich an die Stirn. (Ist ein Arzt unter den Anwesenden?)

Die junge Dame mir gegenüber schaut mich fragend an, ich schüttele leicht den Kopf, sie packt verstohlen ihren E-Book-Reader in die Tasche. Gleich morgen wird sie alle elektronischen Bücher schreddern, gleich morgen. Wenn es doch das weltweite Gleichgewicht wieder in die Balance bringt. Was bleibt einem anderes übrig? Ist doch für den Weltfrieden. Sie seufzt.

In diesem Sinne. Ich bin dann getz wech. Meine Straßenbahn kommt.

Bis morgen,
Ihre/eure Claudia Kociucki

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Ein Gedanke zu „Frankfurter Buchmesse“

  1. Kurz hatte ich schon eine Karte zur Buchmesse. Dann ein kurzes Gespräch mit Horst-Dieter, ein Blick ins Forum, die Mehrheit von Euch ist Samstag schon wech, dat soll wohl.
    Wenn schon bei den Fachtagen der Andrang so groß ist, Samstag/ Sonntag, Buchmesse für Alle, da stept der Bär.
    Zurück in den Buchladen meines Vertrauens und ich habe die Karte für Samstag wieder zurück gegeben.
    Gerne hätte ich Deine Gitarre und Deinen gespielten Fado gehört, gesehen, dann in Leipzig.
    Gruß Amos

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