Friedhofsspaziergang zu einem, den man noch vorzeigen, aber nicht mehr nennen will

Am Samstagnachmittag bin ich zu einer kleinen Radtour aufgebrochen, die mich von Lauda über Grünsfeld – Zimmern – Messelhausen – Oberbalbach – Unterbalbach – Königshofen wieder zurückführen sollte. Diese Strecke bin ich nicht zum ersten Mal gefahren, weil sie abwechslungsreich ist und mit dem nicht unerheblichen Aufstieg bis hinter Messelhausen und der tollen Abfahrt nach Oberbalbach immer wieder Spaß macht. Diesmal bin ich aber in Messelhausen abgebogen zur Kirche im Dorf, wo man sie ja immer noch lässt. Ich habe das Fahrrad abgestellt und gleich damit begonnen, den um die Kirche angeordneten Kirchhof zu inspizieren.

Und bereits in der zweiten Reihe fand ich, was ich suchte: Das Grab eines Nobelpreisträgers, schon von Weitem zu erkennen an den schwarz ausgemalten Buchstaben, die auf den Preis verweisen. Die Messelhausener sind wohl stolz darauf. Kaum zu erkennen dagegen die Namen: Katty Lenard, geb. Schlehner, und Philipp Lenard. Den Nobelpreis gab’s für seine Arbeiten mit und über die Kathodenröhre. In Heidelberg baute er 1913 mit dem Radiologischen Institut eins der zur damaligen Zeit modernsten physikalischen Institute auf. Allerdings begann zu dieser Zeit auch die Schattenseite immer deutlicher hervorzutreten: Lenard vertrat zunehmend antisemitische Ideen und lehnte sowohl die Relativitätstheorie als auch die Quantenmechanik ab. Stattdessen vertrat er die „Äthertheorie“ und versuchte während der Zeit des Nationalsozialismus, zusammen mit einigen anderen Physikern eine „deutsche Physik“ zu etablieren. Das scheiterte allerdings schon 1940, als bei einer Aussprache mit den Vertretern der modernen Physik (u. a. Carl Ramsauer und Carl Friedrich von Weizsäcker) sich diese durchsetzen konnten.

Das Institut wurde kriegsbedingt 1944 nach Messelhausen verlegt, Lenard, obwohl längst emeritiert, zog mit. Nach Kriegsende ließen ihn die Amerikaner wegen seines hohen Alters in Ruhe, und so starb er 1947 in diesem kleinen badischen Ort, ein Jahr nach seiner Frau, und wurde auch dort begraben. Man hatte ihn zum Zeitpunkt seines Todes bereits vergessen. Dass die Messelhausener sein Grab erhalten und pflegen, rührt mich, obwohl ich meine, dass er auch zu Recht übersehen wurde und wird, denn demjenigen, der sein Fachgebiet dem Völkischen und Nationalistischen opfert, müsste eigentlich der Nobelpreis wieder entzogen werden. Na ja, das geht ja nicht und das ist vielleicht auch gut so, denn sonst müssten eine ganze Reihe Nobelpreise wieder eingezogen werden.

Interessiert, ob die Messelhausener weitere Überraschungen auf Ihrem Kirchhof haben, ging ich weiter. Zwei Reihen und ein paar Schritte entfernt fand ich eingezäunt das Grabmal der fränkischen Adligen von Zobel. Stammsitz war Giebelstadt bei Würzburg, aber die Familie breitete sich über eine erweiterte Region bis nach Baden, Thüringen, in das Altmühltal und in den Odenwald aus. Die noch lebenden Familienmitglieder sind verschuldet, sodass es nach 2000 (zuletzt 2008) zu mehreren Versteigerungen kam, zuletzt sogar zu einer Zwangsversteigerung. Quer dran steht das Grabmal einer jungen Frau, die im Alter von 17 Jahren verstarb. Inwieweit sie mit den von Zobels verwandt war, konnte ich nicht ermitteln, auch nichts über die Adelsfamilie „von Speth“. Mit den Adelsgräbern kann Messelhausen nicht prunken, mit dem Grab des Nobelpreisträgers aber durchaus. Die Person selbst muss kritisch gewürdigt werden, doch übersehen werden darf nicht, dass ohne seine Arbeiten Conrad Röntgen die X-Strahlen nicht entdeckt hätte.

Bis zum nächsten Friedhofsspaziergang

Ihr

Horst-Dieter Radke

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