REHA-Klinik, Heiliger Abend. Im Veranstaltungsraum steht ein geschmückter Tannenbaum. Das Licht ist gedimmt, die elektrischen Kerzen im Baum leuchten, zehn, fünfzehn Leute sitzen davor. Der Chefarzt stellt mich, den Märchenerzähler, kurz vor. Nun bin ich dran. Weihnachtsmärchen, gibt es die überhaupt? Seit vielen Jahren erzähle ich Märchen im Dezember, manchmal auch am Heiligen Abend in einer regionalen REHA-Klinik. Das Publikum muss über Weihnachten stationär in der REHA bleiben. Das ist meist an diesem besonderen Abend für alle Beteiligten schwierig. Umso mehr freue ich mich, dass ich ihnen ein wenig den Abend auflockern kann. Es sind überwiegend Frauen, fünfundsechzig Jahre plus. Diesmal sind auch zwei Männer da. Ich gehe zwischen den Stuhlreihen hindurch, in der Hand habe ich einen Korb mit selbstgebackenem Weihnachtsgebäck. Dabei erzähle ich ihnen, wie es bei mir Zuhause, damals, als ich noch Kind war, am Heiligen Abend zuging. Zurück an meinen Platz vor den Leuten, erzähle ich das Märchen Sterntaler.
Bevor ich zum zweiten Märchen komme, frage ich in die Runde, wie es an Weihnachten bei ihnen zugeht? Eine Dame, sie ist 82 Jahre alt, berichtet, dass Weihnachten in ihrer Kindheit ein großes Familienfest war. Mit Weihnachtsgans am ersten Weihnachtstag, das Haus rappelvoll mit Leuten. Sie erzählt von viel Schnee. Alle Frauen und Mädchen haben gekocht und gebacken. Die Männer haben den Christbaum geschmückt. Während sie erzählt, sehe ich manche zustimmend nicken. Auch andere erzählen mir ihren Kindheitserinnerungen, kein Fernsehen, manchmal kein Radio. Alle haben übereinstimmende Erinnerungen an selbst gebackenem Weihnachtsgebäck. Ob sie die Rauhen Nächte, die zwölf heiligen Tagen zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar kennen? Auch da kann der einer oder der andere etwas zu sagen. Wie kam es zu den Rauhen Nächten? Wieso werden sie auch die 12 heiligen Nächte genannt. Der 24. Dezember als kirchlicher Festtag, die heiligen Nächte, wie und weshalb sie so genannt werden, das hören sie dann von mir. Das Jahr wurde ursprünglich nach dem Mondkalender ausgerichtet. Der gregorianische Kalender, auch bürgerlicher Kalender, ist der weltweit meistgebrauchte Kalender. Er entstand Ende des 16. Jahrhunderts durch eine Reform des julianischen Kalenders. Benannt ist er nach Papst Gregor XIII. Andere reden von einem uralten heidnischen Brauch. Wer nun was, wie, wann geändert hat, ist bis heute nicht ganz klar. Geblieben ist die Lücke zwischen den Jahren.
In den asiatischen Ländern wird bis heute das offizielle Neujahr nach dem Mondkalender gefeiert, der erste Vollmond im Jahr.
Daraus ergibt sich wieder eine Erzählrunde mit dem Publikum. Frau Holle schüttelt die Kissen, dann schneit es unten auf der Erde, so sagt man., Frau Holle hat auch bei den Rauhen Nächten eine Aufgabe. Mit Wotans wilder Jagd fliegt Frau Holle über die Obstbäume und schüttelt sie ordentlich durch, nur so gibt es eine gute Ernte. In den Rauhen Nächten ist es auch Brauch, dass jeder, der an die Haustür klopft, hineingebeten wird. Der Besucher hat dann einen Wunsch frei. Die Geschichte von Frau Holles Apfelgarten, wie eine alte Frau dem Tod ein Schnippchen schlägt, erzähle ich anschließend.
Noch einmal meldet sich die Dame, die den Anfang gemacht hat. Sie erzählt, dass die Ställe in den Rauhen Nächten ausgeräuchert werden, , um die bösen Geister zu vertreiben. Wie die Tiere zu Weihnachten stehen, hören sie nun als letzte Geschichte.
Ihr Märchenerzähler
Amos Ruwwe