„Gründe, etwas nicht zu tun, gibt es immer“

Besondere Buchhandlungen: Tom Liehr im Gespräch mit Edar Rai, Mitinhaber der Berliner Buchhandlung Uslar & Rai

Als Kind träumte ich davon, an einem Samstagmittag – damals hatten alle Geschäfte höchstens bis zu dieser Zeit geöffnet – versehentlich in einem Spielzeugladen eingeschlossen zu werden, um dort dann bis zum Montagmorgen nach Herzenslust all die tollen Sachen ausprobieren zu können, die ich niemals geschenkt bekäme, geschweige denn mir jemals selbst kaufen könnte.

Als ich die Buchhandlung Uslar & Rai im Februar 2016 zum ersten Mal betrat, weil ich dort mit den hinreißenden Kollegen Safia Monney und Sven Stricker eine Lesung bestreiten sollte, musste ich an diesen Kindheitstraum denken – denn ich wurde das Gefühl nicht los, in einen solchen Kindheitstraum geraten zu sein, der jedoch Wirklichkeit geworden ist. Die Inhaber Katharina von Uslar und Edgar Rai anschließend in Aktion zu erleben, verstärkte dieses Gefühl noch.

Ich kenne Edgar Rai schon seit ein paar Jahren, wir werden von derselben Agentur vertreten und sehen uns regelmäßig, aber zu selten. Edgar hat unter eigenem Namen, unter Pseudonymen und gemeinsam mit anderen Autoren – etwa Hans Rath – mehrere Dutzend Romane veröffentlicht, einige sind verfilmt worden, viele sind Bestseller. Zuletzt erschienen Halbschwergewicht (Piper) als Soloprojekt und zusammen mit Hans Rath aus der Bullenbrüder-Reihe bei Wunderlich Tote haben keine Ferien. Man kann seine Bücher bei Uslar & Rai kaufen, aber man muss sie im Regal suchen.

Edgar Rai liebt es nicht nur, Bücher zu schreiben, sondern er liest auch sehr, sehr gerne. Diese zweite Leidenschaft gipfelte im Jahr 2012 in der Eröffnung dieser feinen, nicht unbedingt kleinen Buchhandlung im Prenzlauer Berg, an einer umtriebigen Ecke – übrigens in den Räumen eines ehemaligen Bordells. Der Laden sollte groß genug für Sortiment, eine feine persönliche Auswahl und Veranstaltungen sein, die seither fast im Wochentakt stattfinden und so gut wie immer ausverkauft sind. Es ist eine schöne, liebenswürdige, moderne, unprätentiöse Buchhandlung, in der die persönlichen Favoriten in großen Rahmen an prominenter Stelle präsentiert werden, obwohl man dort mehrere Regalmeter mit Massenware unterbringen könnte. Die Räume umfangen einen, wenn man sie betritt, und man vergisst sofort den Touristen- und Zugereistentrubel im Rücken. Sie sagen: „Wenn du gerne liest, dann bist du hier genau richtig.“

Und das ist nicht gelogen.

Ihr habt Uslar & Rai in einer Zeit gegründet, als die Branche von nichts anderem als dem Niedergang des stationären Buchhandels sprach. Wie war das? Hattet ihr keine Zweifel?

Gründe, etwas nicht zu tun, findest du immer. Ich nehme an, wir hatten tatsächlich Zweifel, kann mich aber kaum daran erinnern. Der Wunsch, gemeinsam eine Buchhandlung zu eröffnen, war einfach viel größer.

Hat dein zeitweiliger Wechsel auf die andere Seite des Tresens deine Arbeit als Autor irgendwie beeinflusst oder verändert? Bist du jetzt ein anderer?

Ich bin ein paar Jahre älter, aber das wäre auch ohne die Buchhandlung passiert. Ein anderer … hm, fühlt sich nicht so an. Wovon ich auch als Autor profitiere, ist, über alles informiert zu sein, was im deutschen Literaturbetrieb so vor sich geht.

Wie, glaubst du, wird der Buchhandel in zwanzig Jahren aussehen?

Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Aber es ist interessant, was diese Frage mit einem macht. Gut möglich, dass es in zwanzig Jahren den gedruckten Roman zwischen zwei Pappdeckeln nicht mehr geben wird, andererseits fällt es mir schwer zu glauben, dass etwas kulturell derart Verwurzeltes tatsächlich aufhört zu existieren. Gespenstisch.

Es gibt euch jetzt schon seit sieben Jahren, zweimal habt ihr den Deutschen Buchhandlungspreis/Kategorie „Herausragende Buchhandlungen“ erhalten, Dutzende Lesungen haben bei euch stattgefunden, vermutlich Tausende Menschen den Laden betreten. Wie war diese Zeit bisher? Was waren die schönsten, die merkwürdigsten, die amüsantesten Erlebnisse?

Im Grunde wartet jeder Tag mit interessanten Begegnungen und inspirierenden Gesprächen auf. Besonders im Gedächtnis bleiben die Veranstaltungen, da fällt es schwer, welche herauszuheben. Roger Willemsen war grandios, und ich werde immer dankbar sein, die Chance gehabt zu haben, ihn bei uns zu erleben. Matthias Brandt haben wir alle zu Füßen gelegen. Dann kommt mir Anneliese Mackintosh in den Sinn und wie der Laden kollektiv angefangen hat zu schluchzen, als sie aus ihrem ersten Roman las. Die Debütantenbälle waren alle irgendwie glamourös, der Abend mit Jackie Thomae und Julia Jessen war ein Genuss, ach, und immer so weiter.

Und, ist es so, wie du dir das vorher vorgestellt hattest?

Ich hatte, ehrlich gesagt, keine so konkrete Vorstellung. Kathi und ich wollten „einen Ort schaffen“, was ja an sich schon ein sehr schwammiges Konzept ist. Viel konkreter war das nicht.

Für jemanden, der alles liest und das Schöne im Überraschenden sucht oder umgekehrt: Hast du einen aktuellen Geheimtipp?

Ein liebendes, treues Tier; Vater unser; Welch schöne Tiere wir sind; Mikadowälder; Wenn man den Himmel umdreht, ist er ein Meer … Das sind so die aus den letzten Wochen.

Danke fürs Gespräch, viel Spaß und Erfolg noch!

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