Gute Vorsätze – Nachtrag ;-)

Alle Jahre wieder

Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen.

Am Neujahrsmorgen saßen mein Mitbewohner und ich wie jedes Jahr zu einem späten Katerfrühstück in der Küche und diskutierten das Für und Wider der alljährlichen guten Vorsätze. Alles ein großer Blödsinn. Michael hatte sich vorgenommen, abzunehmen. Wie jedes Jahr.

„Diesmal aber echt!“

Na klar doch. Ich stellte die Bierflaschen der letzten Nacht zum Pfand und dabei fiel es mir in die Hände.  Ein speckiges, altes Leitz-Schulheft, DIN-A4, blassgrün, Spießerdesign. Ewig nicht gesehen. Irgendwie war es zwischen Altglas und Pfandflaschen gelangt. Ich schlug es auf und stellte fest, dass wir noch nicht über die erste Seite hinausgekommen waren. Die letzte „Flurwoche“ datierte laut unterschriebenem Eintrag auf den 06. Oktober 2013. Vor drei Monaten also. Ein längst verdrängtes Mülltonnengespräch mit Frau Brathals kam mir in den Sinn. Sie hatte mir vorgeworfen, „wie immer“ das Flurheft verschlampt zu haben. Natürlich hatte ich nicht geputzt. Wie immer stritt ich ab, das Heft jemals erhalten zu haben. Und wie immer glaubte ich das auch wirklich. Bis heute.

„Was ist das denn?“

„Flurwoche.“

Ich schenkte mir Kaffee nach und setzte mich an den Tisch.

„Wär doch ein prima Vorsatz für dich. Hast du dir den Flur in letzter Zeit mal angesehen?“

„Ich weiß auch so, dass er dreckig ist.“

„Genau. Er wird nicht gewischt, weil das Flurheft hinter unserem Altglas vergammelt.“

„Du kannst ja putzen, wenn du willst.“

„Darum geht es nicht.“

„Doch. Genau darum geht es. Du willst nicht. Und ich will auch nicht.“

„Du benimmst dich wie ein kleines Kind.“

„Man will uns zwingen, diese vollkommen sinnlose Drecksarbeit zu machen. Selbst wenn ich jetzt sofort runtergehe und wische: Es dauert keinen halben Tag, dann sieht es wieder genauso aus wie vorher.“

„Wenn keiner putzt, wird es immer dreckiger.“

„Und darum zwingt man die Leute, ja? Ohne mich.“

Ich schlug das Heft zu und warf es achtlos auf die Fensterbank.

„Christoph, der Mensch ist faul, sieh es ein.“

Ich warf einen schnellen Blick auf Michaels enorme Plautze. Das blieb ihm nicht verborgen. Seine Augen verengten sich um wenige Millimeter, ich konnte das sandige Getriebe in seinem Kopf förmlich knirschen hören. Michaels Stimme war um ein paar Grad abgekühlt.

„Du traust mir nicht zu, dass ich durchhalte, ja?“

Stöhnend ließ ich zwei Stück Zucker in meine Tasse fallen.

„Du bist ein Arschloch.“

Er stand auf, ging zum Fenster und blickte mit verschränkten Armen in die Weite, wie Kapitän Ahab auf der Suche nach Moby Dick.

„Du machst die dreinhundertvierundzwanzigste Fastenkur deines Lebens. Es ist vollkommen sinnlos, aber du machst einfach weiter, wie dieses Kaninchen mit der Batterie im Arsch.“

„Der einzige Arsch hier weit und breit bist du.“

„Dieser Vorsatz ist dein persönliches Flurheft.“

Mit Daumen und Zeigefinger nahm ich das fleckige Heft, um es wieder hinter dem Altglas verschwinden zu lassen. Doch dann hatte ich eine bessere Idee, und ließ mein Zippo aufschnappen. Mit einem satten „Flupp“, entzündete sich die kleine, zitternde Flamme. Aus den Augenwinkeln nahm ich Michaels ungläubigen Blick wahr, als ich das verfluchte Ding in Brand setzte.

„Mögen deine Vorsätze in Rauch aufgehen, wie dieses Leitzheft.“

„Spinnst du?“

„Huch…“

Ich hatte die Seiten des Heftes aufgefächert, damit es besser brennen würde. Und das tat es auch. Es loderte auf, wie mit Benzin getränkt.

„In die Spüle!“

Doch die stand voll dreckigem Geschirr. Bevor das Feuer meine Hand erreichte, ließ ich einfach los. Michael und ich traten wie blöd auf dem Heft herum. Es stank bestialisch, als das PVC zu schmelzen anfing.

„Scheiße.“

„Mach das Fenster auf!“

Ein paar Sekunden später war alles vorbei. Was von dem Heft übrigblieb, war ein Häufchen Asche, ein paar Fetzen verkohltes Papier und ein Brandloch.

 

Das ganze ist jetzt sechs Wochen her.

Gestern hat mich Frau Brathals an den Briefkästen abgefangen. Sie hielt ein blaues Schulheft in der Hand.

„Das ist das neue Flurheft.“

Ich verzog keine Miene.

„Es gibt hier eine Hausordnung, die hängt für alle gut sichtbar an der Kellertür.“

Mit diesen Worten stieß sie mir das Heft vor die Brust.

„Diese Woche wird geputzt. Und zwar von Ihnen, damit das klar ist.“

„Nun geben sie schon her.“

Ich entriss ihr das Heft (natürlich ein Leitz), nahm die Post an mich und stiefelte nach oben. Anstatt den Schlüssel zu benutzen, klingelte ich. Michael öffnete.

„Mal wieder Schlüssel vergessen, oder was?“

„Ich hab dir was mitgebracht.“

„Was ist das denn?“

„Das neue Flurheft. Da bist du doch so scharf drauf.“

„Sehr witzig.“

„Wenn du schon deinen Neujahrsvorsatz nicht umsetzt, dann putz wenigstens.“

Es vergingen einige Sekunden, in denen nichts passierte. Um sicherzugehen, dass die Welt nicht stehengeblieben war, stubste ich Michael leicht in seine enorme Plautze, die seit Jahresbeginn kein Gramm leichter geworden war. Ich bin mir sicher, das Pling gehört zu haben, als ihm die Sicherung rausflog. Er sog geräuschvoll Luft ein. Doch bevor er etwas entgegnen konnte, war ich schon am ihm vorbei und in meinem Zimmer verschwunden.

Tja, so ist das mit den guten Vorsätzen. Irgendwann stehen sie wieder vor der Tür und klopfen. Und dann ist das Geschrei groß.

Ihr Christoph Junghölter

 

P.S.: Das Blogteam entschuldigt sich hiermit in aller Form für den hoffnungslos veralteten Beitrag, der aufgrund nicht eingehaltener Abgabefristen leider erst Anfang März (!) erscheinen kann. (Demnächst führen wir hier eine Blogwoche ein.)

Teilen:

Schreibe einen Kommentar