Herr Müller in der Eifel

Anstelle eines eigenen Beitrags zum Thema „Autoren und Urlaub“ gebe ich hier eine Anekdote meiner Tante Ursula wieder. Die kleine Begebenheit hat sich im Sommer 2012 unweit des Städtchens Schalkenmeeren zugetragen.

Das Buch vom Herrn Müller*

Seit mein Mann und ich die Ferienwohnung vermieten, haben wir hier schon einige schräge Vögel zu Gesicht bekommen, das können Sie mir glauben. „Schmucke Zweiraumwohnung in der Eifel“ lautet das Inserat. Meistens kommen ältere Ehepaare, die ein paar Tage im Grünen verbringen wollen. Manchmal auch Geschäftsleute, die in der Gegend zu tun haben. Die meisten sind unauffällig, man grüßt sich, wenn man sich auf der Terrasse trifft, unterhält man sich über das Wetter, das Leben in der Kleinstadt und unsere schöne Vulkanlandschaft hier.

Letzten Sommer war das aber ein bisschen anders. Der Herr Müller war speziell, das hat man gleich gemerkt. Hat ganz kurzfristig gebucht, zwei Tage im Voraus und per Email. Ich meine, da ruft man doch an, oder? Hat seinen alten Passat in der Auffahrt geparkt und einen riesigen schwarzen Koffer die Treppe hochgewuchtet. Ich dann gleich raus und ihn begrüßt. Aber mehr als zwei Worte waren aus dem ja nicht rauszukriegen. Als müsste der für jedes Wort zwei Euro in eine geheime Kasse zahlen. So einer war das. Und ich hab mich gefragt, was der hier will. Was der eigentlich vorhat. Den hat man ja nie zu Gesicht bekommen. Saß immer in der Wohnung, dabei war doch so schönes Wetter. Dienstag war sogar der heißeste Tag des Jahres. Einmal bin ich dann rüber. Ganz geheuer war er mir ja nicht, und ich wollte nachschauen, wie’s in der Wohnung aussieht. Man kann den Leuten vor den Kopf gucken, aber nicht hinein. Ich bin dann ganz leise zum Küchenfenster.

Der Tisch war übersät mit Büchern. Ganze Stapel türmten sich da auf, wie die Skyline von New York. Die müssen alle in dem Koffer drin gewesen sein, dachte ich, darum war der auch so schwer. Und mitten drin sitzt er, Brille auf der Nase, und starrt in seinen Computer. Und dann reißt er plötzlich den Kopf hoch und nach rechts und links. Als wär jemand hinter ihm her, oder als würde er ganz dringend was suchen, aber wüsste gar nicht, was. Und hat die ganze Zeit die Lippen bewegt, als würde er mit jemandem sprechen. Dabei war der doch alleine! Der hat mir richtig Angst gemacht, und ich bin dann auch gleich wieder rüber. Der hat mich gar nicht gesehen, der war ja wie in Trance, wie in einer anderen Welt.

Das hab ich dann am Abend meinem Mann erzählt. Und der hat gemeint, das ist bestimmt so ein Kiffer und ich soll mir keine Sorgen machen. Die sind harmlos, hat er gesagt. Besser als saufen.

Aber ich dachte mir, Erwin, du kleines Dummerchen. Der Herr Müller hat eine Schraube locker, und zwar eine ganz gewaltige. Jede Nacht ging die Tür vom Herrn Müller. Wer geht denn nachts raus? Als hätte der eine Sonnenallergie. Ist dann vor sich hin brabbelnd über die Terrasse vor unserem Fenster und auf die Straße. Und später hör ich ihn wiederkommen und er brabbelt immer noch.

Die Schreie hab ich Freitagnacht gehört. Um drei Uhr morgens war das. Und mir war sofort klar, das ist der Herr Müller. Auch wenn sich das zuerst gar nicht so anhörte. Das war mehr so ein Kreischen, ganz schrill, minutenlang. Und dann plötzlich Stille. Die Tür fiel mit einem lauten Rums ins Schloss und ich hörte den Herrn Müller auf der Terrasse pfeifen, ganz fröhlich, als wäre er Vater geworden oder was. Das Pfeifen wurde immer leiser, und ich dachte, der geht wieder spazieren, der arme Junge. Was dem bloß fehlt. Als wäre der mit dem Kopf ganz woanders, der Erwin hat vielleicht doch recht.

Letzten Sommer war das. Und gestern kam dann das Paket. Der Herr Müller hat uns ein Buch geschickt, das hat er selbst geschrieben. Und auf der letzten Seite steht, er grüßt die Eifel. Und da sind wir ja irgendwie auch mitgemeint. Der hat uns das Buch ja nicht einfach so ohne Grund geschickt. Und ich freu mich schon, wenn der Herr Müller mal wieder bei uns wohnt. Und wenn der nachts spazieren gehen will und dabei vor sich hinbrabbeln muss – ja, dann soll er halt. Der kommt ja zum Bücherschreiben. Tja, und ich denk: Wenn’s hilft.

*Der Herr Müller heißt gar nicht Müller. Aber weil ich nicht weiß, ob der Herr Müller will, dass ich schreibe, wie er wirklich heißt, schreibe ich einfach Herr Müller. Ich könnte auch Herr Meier schreiben.

Ihr Christoph Junghölter, der an dieser Stelle liebe Grüße an seine Tante Ursula und Onkel Erwin schicken will 😉
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