Historische Romane – gibt’s die?

Von Anfang an bis zum 19. Jahrhundert

Historische Romane – mal knapp als HR oder HiRo abgekürzt – haben einen miserablen Ruf. Zu Recht? Jein! Leider muss diese Frage auch mit »Ja« beantwortet werden. Nicht wenige sind schlecht recherchiert. Schlimmer aber ist, dass oft nicht wirklich in die Zeit, in der der Roman spielt, hineingefunden wird. Ungeachtet dessen gelangen solche Romane durchaus nicht selten auf Bestsellerlisten, weil sie etwas haben, das zum Lesen verleitet: eine spannende Handlung, schillernde Figuren und das gewisse Etwas, das die Leserinnen und Leser »hineinzieht«, nämlich die Anlage zur Identifikation mit einer vermeintlichen Vergangenheit, in der manch eine/r gern gelebt hätte. Es kommt dann nicht darauf an, ob diese Zeit real beschrieben ist. Solche Romane haben durchaus ihre Berechtigung, sollen hier aber nicht weiter betrachtet werden. Ich beantworte die Eingangsfrage lieber mit »Nein«. Einmal, weil üble Nachrede selbst etwas Übles ist, und zum anderen, weil es ausreichend gute historische Romane gibt.

Man könnte sagen, historische Stoffe wurden schon immer dichterisch bearbeitet. Auch die griechischen Tragödien waren im Grunde »historisch« für die damalige Welt, selbst wenn sie auf Mythen zurückgriffen (Ödipus z.B.), denn für die Menschen jener Zeit waren dies reale Geschehnisse der Vergangenheit. Ganz so weit möchte ich in dieser kurzen Artikelserie aber nicht zurückgreifen. Um nicht auszuufern, werde ich mich überwiegend auf deutsche Autorinnen und Autoren beschränken und solche aus anderen Ländern nur berücksichtigen, wenn sie nachweislich Einfluss auf die deutsche Literatur hatten.

Aus der Zeit vor dem 19. Jahrhundert greife ich nur die Autorin Benedikte Naubert (1752 – 1819). Da ihr Vater Akademiker war, bekam sie eine gute Ausbildung in Geschichte, Philosophie und Sprachen. Sie veröffentlichte ihre Bücher anonym. Man vermutete als Verfasser bekannte Persönlichkeiten. Erst kurz vor ihrem Tod wurde das Pseudonym gegen ihren Willen aufgedeckt. Sie benutzte bereits das später beliebte Prinzip, geschichtliche Nebenpersonen zu Protagonisten ihrer Romane zu machen. Diese spielen in der Zeit der Völkerwanderung, im Mittelalter, in der frühen Neuzeit und der – aus damaliger Sicht – jüngeren Vergangenheit. Im Roman »Azaria – eine Dichtung der Vorwelt« (1814) griff sie sogar noch weiter zurück. Wenn man sich nicht an der etwas altertümlichen Sprache stört, können ihre Romane heute noch gefallen.

Diese waren – wie auch die Romane anderer deutscher Autoren – beliebt und lagen in französischen und englischen Übersetzungen vor. Walter Scott (1771 – 1832) kannte sie und wurde von den Stoffen und auch der Form zu eigenen Werken angeregt. Seine Werke (u.a. Waverley, Ivanhoe, Rob Roy, Quentin Duward) wiederum machten großen Eindruck auf die deutschen Dichter des 19. Jahrhunderts. Goethe schätzte Scott hoch ein, andere schrieben in seinem Stil. Wilhelm Hauff beispielsweise und Willibald Alexis (1798 – 1871), den ich stellvertretend für viele andere seiner Zeit hier nennen möchte. Er gilt als Begründer des realistischen historischen deutschen Romans, besonders mit seinen »Vaterländischen Romanen«, in denen er die brandenburgisch-preußische Geschichte vom 14. Jahrhundert bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufarbeitet. Dazu gehören unter anderem »Die Hosen des Herrn von Bredow« (1846) und »Ruhe ist die erste Bürgerpflicht« (1852). Diese Richtung führte ein Großer unter den deutschen Dichtern fort. Theodor Fontane (1819 – 1898) hatte bereits Reiseberichte und Kriegsberichte veröffentlicht, sowie sehr erfolgreich die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ (1862 – 1882), bevor er seinen ersten Roman »Vor dem Sturm« (1876) schrieb. Die Handlung spielt zur Zeit der Befreiungskriege (1813-1815) und vermittelt den Lesern ein Bild der preußischen Gesellschaft jener Zeit, nicht nur des Adels, sondern auch der Bürger und Bauern. Einer, der sich auf Scott berief, aber deutlich anders arbeitete, war Adalbert Stifter (1805 – 1868). In seinem Roman »Witiko« (1867) erzählt er von der Entstehung des böhmischen Adelsgeschlechts der Witigonen. Nicht atemberaubende Abenteuer vor geschichtlichem Hintergrund spielen die Hauptrolle in diesem Roman, sondern die Entwicklung eines idealtypischen Menschen, ein Thema, das Stifter auch in anderen Erzählungen aufgriff. Es ist kein krachendes Buch, wie viele andere historische Romane, sondern eher ein stilles, dabei aber so großartig, dass ich auf Anhieb wenige wüsste, die ich diesem Buch in die Nähe stellen könnte. Genau genommen fällt mir nur eines ein. Das werde ich im 3. Teil dieser Artikelserie vorstellen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam der sogenannte Professorenroman auf, von Wissenschaftlern geschriebene belletristische Werke. Als bekanntester Autor gilt Felix Dahn (1834 – 1912), Rechtswissenschaftler und Historiker. Sein Werk »Ein Kampf um Rom« (1876) gilt als Klassiker. Dahn war mit seinem historischen Wissen auf dem Stand der Zeit und bemühte sich, die Handlung so korrekt wie möglich an die historischen Fakten anzupassen. Allerdings erfand er auch einiges dazu. Der Antagonist Cethegus ist ihm dabei besonders großartig gelungen. Ein derart faszinierender Bösewicht – ein vom persönlichen Ehrgeiz durchdrungener Idealist, der vor nichts zurückschreckt – ist eine Seltenheit in diesem Genre.

Fast so populär wie Dahn war Georg Ebers (1837 – 1898). Der Ägyptologe verhalf durch seine Romane zur Popularisierung der Ägyptologie. Er schrieb jedoch nicht nur historische Romane aus seinem Fachgebiet – »Eine ägyptische Königstochter« (1864) – sondern auch solche aus dem Mittelalter – »Im Schmiedefeuer – Roman aus dem alten Nürnberg« (1895).

Gustav Freytag (1816 – 1895) wäre noch zu nennen. In seinem monumentalen (mehr als 2000 Seiten umfassenden) Roman »Die Ahnen« (1872-1880) schlägt er den Bogen von den Germanen bis zur damaligen Jetztzeit. Freytag gab auch eine allgemein verständliche und lesbare Quellensammlung heraus: »Bilder aus der deutschen Vergangenheit« (1859 – 1867). Eine dieser Quellen zeigt auch die historischen Grundlagen, die Joseph Victor von Scheffel (1826 – 1866) in seinem Roman »Ekkehard« (1855), der Lebensgeschichte eines St. Gallener Mönchs aus dem 10. Jahrhundert, verarbeitet hatte. Scheffel schuf mit dem »Trompeter von Säckingen« (1854) außerdem einen historischen Roman im Balladengewand. Solcherart umfangreiche Gedichte waren im 19. Jahrhundert durchaus beliebt und Scheffels Werk kein Einzelfall. Ein anderes romanlanges Versepos stammt von Wilhelm August Berberich (1861-1929): »Tannenburg, ein Sang vom Spessart«.

Abschließend sei noch die heute vergessene Luise Reinhardt (1807 – 1878) erwähnt, die im Jahr 1836 mit einem historischen Jugendroman debütierte: »Die Wollenweber von Stendal im Jahre 1530«. Er erschien, wie auch ihre anderen Bücher, unter dem Pseudonym »Ernst Fritze«. Der Roman war erfolgreich und es folgte weitere Romane, Novellen und Erzählungen, in denen Reinhardt nicht nur historische Themen bearbeitete, sondern auch das Genre des Kriminalromans bediente.

Im nächsten Beitrag beschäftige ich mich mit historischen Romanen des 20. Jahrhunderts. Bis dahin greifen Sie doch einmal zu einem älteren historischen Roman. Ich bin mir sicher, Sie werden es nicht bereuen, auch wenn diese so ganz anders sind, als die heutigen Romane dieses Genres.

Ihr

Horst-Dieter Radke

Nachsatz: Die obige Zusammenstellung ist nicht repräsentativ. Ich habe aber die meisten der erwähnten Romane gelesen. Wo nicht, sind es Hinzufügungen, um das Werk des jeweiligen Autors etwas breiter zu zeigen.

Literatur:

Fontane: Vor dem Sturm

Adalbert Stifter: Witiko

Felix Dahn: Ein Kampf um Rom

Joseph Victor von Scheffel: Ekkehard

Walter Scott: Im Auftrage des Königs

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