Joan liest gerade: Cora Sandel – Café Krane

Seit mir meine Buchhändlerin bei meinem ersten Besuch zu Joan Wengs „Das Café unter den Linden“ riet, vertraue ich ihr restlos – sie kennt meinen Geschmack so gut, dass mein Mann zu Weihnachten und Geburtstag bei ihr anruft und um Hilfe bittet. Wenn sie sagt, ich werde es mögen, dann werde ich es mögen. Sie weiß auch, was mir nicht gefällt, Romane über die Zwanzigerjahre zum Beispiel.

Also nein, verstehen Sie mich nicht falsch, ich lese oft und gerne über die Zwanzigerjahre, aber zum Abschalten ist das für mich auf die Weimarer Republik spezialisierte Autorin wirklich nichts. Und trotzdem beschwor mich meine Buchhändlerin kürzlich, es unbedingt mit Cora Sandels „Café Krane“ zu versuchen – einer Erzählung irgendwo im hohen Norden, irgendwann in den 1920er-Jahren.

Ich habe es gewagt – und was soll ich sagen? Sie hatte mal wieder recht.

Obwohl der 1946 erschienene Roman zum Hauptwerk der norwegischen Schriftstellerin Cora Sandels (1880–1974) gehört, wurde er erst jetzt ins Deutsche übertragen, und ich kann mir vorstellen, dass diese Übersetzung keine leichte Aufgabe war. Mit einer ganz eigenen, teilweise sperrigen, teilweise atemberaubend schönen Sprache wird hier, am Tisch des Cafés Krane, erzählt, warum Katinka Strodal bei helllichtem Tag eben gerade dort sitzt und ein Glas Wein trinkt. Warum arbeitet sie nicht? Warum spricht sie mit dem Paria Hut-Svenne? Und was ist eigentlich ihr Problem, warum kann sie nicht einfach sein wie alle?

Der Roman ist sowohl Gesellschaftsporträt einer Kleinstadt als auch ein Künstlerroman, denn Katinka Strodal hätte eine Künstlerin sein können, wenn sie nur ein bisschen Startkapital, ein bisschen freie Zeit besessen hätte. Oder lag es am Ende doch an ihr selbst und nicht an den Umständen? An mangelnder Disziplin und Ausdauer gar?

Auch wenn wir die Übersetzung vermutlich dem aktuellen Hype um die Zwanzigerjahre verdanken, hat Sandel einen sehr interessanten Aspekt der Epoche und des Künstlerlebens im Generellen auf ungewöhnliche Weise beleuchtet. Ein schöner, facettenreicher Roman für alle, die Charakterstudien und literarisch anspruchsvollen Stoff mögen.

Ihre
Joan Weng

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