Joan liest gerade… Szczepan Twardoch: Der Boxer

Wer so viel liest wie ich, vergisst bei vielen Büchern recht rasch die Handlung und ich möchte auch nicht beschwören, dass ich in ein paar Monaten noch detailliert Auskunft über den Unterweltaufstieg des Boxers/ Mörders / Paten Jakup Shapiro geben können werde, aber eines werde ich im Gedächtnis behalten haben: Die Stimmung.

In seinem auch sprachlich und erzähltechnisch durchaus anspruchsvollen Roman gelingt es dem Polen Szczepan Twardoch, die Atmosphäre der Warschauer Unterwelt während der 30er Jahre brillant vielschichtig einzufangen. Huren, Boxer, Juden, Nazis sie alle haben ihren Auftritt und am Ende ist keiner der, für den man ihn gerne halten möchte. Während der Erzähler selbst manchmal nicht mehr sicher zu sagen weiß, ob er das Berichtete tatsächlich selbst erlebt oder nur oft gehört hat, überkommt einen als Leser das Gefühl dabei gewesen zu sein. Gerade durch den unzuverlässigen Erzähler offenbart sich eindrucksvoll eine Welt, in der die Grenzen zwischen Gut und Böse, Wahr und Unwahr verschwimmen. Brilliant!

Verschiedene Kritiker haben sich an der teilweise sehr heftigen Brutalität des Romans gestört, aber ich finde es im Rahmen der Realitätsnähe wichtig, dass Twardoch nichts beschönigt, wer es gar nicht aushält, kann ja überblättern – den Roman deshalb nicht zu lesen, wäre eine Schande!

Von mir, trotz drastischer Gewaltschilderungen, eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

Ihre Joan Weng

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