Joan wäre gern Helene Hanff

Die Liste der Autorinnen und Autoren, die ich sehr gern nicht bin, ist ziemlich lang: Beispielsweise Irmgard Keun möchte ich nicht sein, weil ich finde, dass ihre große Liebe Joseph Roth immer so schmuddelig aussieht, und meine Fantasie reicht leider aus, mir seinen Geruch vorzustellen. Zelda Fitzgerald finde ich sprachlich brillant, aber weder möchte ich mit dem versoffenen Verschwender F. Scott verheiratet sein, noch mein Leben im Irrenhaus fristen, weil ich einmal zu oft gesagt habe, was ich denke, zum Beispiel über den besten Freund meines Gatten, Ernest Hemingway. Und wo wir schon dabei sind, dieser großkotzige Großwildjäger mag ich erst recht nicht sein, ebenso wenig wie eine seiner zahlreichen Frauen, obwohl ich Martha Gellhorns Arbeiten sehr bewundere. Summa summarum missbillige ich den Männergeschmack meiner Kolleginnen ziemlich flächendeckend, und so ist über das Liebesleben der Autorin, die ich gern wäre, absolut nichts bekannt. Ich wäre nämlich gern Helene Hanff.

Die heute weitgehend vergessene Autorin schrieb in den siebziger und achtziger Jahren mehrere Bestseller, von denen es der bekannteste, 84, Charing Cross Road zu einer Verfilmung mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle und zu mehreren erfolgreichen Broadway-Inszenierungen brachte. Darüber hinaus verfasste sie für die BBC Briefe aus New York, einen monatlichen Hörfunkbeitrag über ihr Leben in der Stadt, die niemals schläft – und was sie da so schreibt, wie sie unprätentiös über ihre winzig kleine Wohnung, die Marotten ihrer Nachbarn, kostenlose Konzertbesuche und ihre große Liebe, einen Bobtail, berichtet, da merkt man meiner Meinung nach: Hier ist jemand angekommen, hier führt ein Mensch genau das Leben, das für ihn oder sie geschaffen ist. Wann immer es mir schlecht geht, blättere ich in einem ihrer Bücher, und auch wenn ihre Texte sicher weder weltbewegend noch künstlerisch anspruchsvoll sind ‒ mir entlocken sie zuverlässig ein kleines Lächeln. Die amüsierte Zufriedenheit, ihre Lebensfreude und ihr liebevolles Interesse an allem Menschlichen macht einfach glücklich. Und deshalb wäre ich gern Helene Hanff.

Ihre

Joan Weng

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