Als ich letztens für meine Mutter den Koffer vom Speicher holen sollte, kam ich mit einem Stapel meiner geliebten Mad-Hefte wieder runter.
„Was schleppst du denn für einen Scheiß an, würg!“, fragte Evi, meine Frau, und traf dabei genau den Ton von Mad, dem vernünftigsten Magazin der Welt. Das habe ich bis heute nicht verstanden: Ich muss gleich wieder über die Witze lachen, über die meine Eltern damals nur müde lächeln konnten. Und Evi übrigens auch. Bei meinen Eltern kann ich die Humorlosigkeit verstehen, sie haben schließlich den Zweiten Weltkrieg miterlebt. Aber Evi?
Unbestrittener Star von Mad ist und bleibt der Zeichner Don Martin. Die Zeichnungen sehen auf den ersten Blick aus, als stammten sie von einem Pennäler aus der letzten Reihe. Zum Beispiel von Onno aus der sechsten Volksschulklasse, der haargenau dieselben Figuren zeichnen konnte: mit abgespreiztem kleinen Finger, dem vollzahnigen Grinsen und der rechtwinklig abgeknickten Schuhspitze.
„Das sind keine kaputten Schuhe“, so Evi, „sondern total entspannte Zehen im Yin-Zustand, die etwas übertrieben nach vorne gekippt sind.“
Evi hat zwar wenig Ahnung von Comics, aber viel von Körperspannung, deshalb lasse ich das mal so stehen. Übrigens, Don Martin erhält heute seine gerechte Würdigung und wird als Meisterzeichner anerkannt. So, liebe Eltern und Evi, auf was ihr immer so herabblickt, ist große Kunst!
Ich weiß jetzt nicht, ob meine Wörter ausreichen, um Comicstrips von Don Martin angemessen nachzuerzählen, ohne die Pointe zu versauen. Ich versuche es trotzdem. Eine Prinzessin liebt Froschschenkel über alles und gibt ihrer Lieblingsspeise einen Schmatz! Puff! macht es und die Froschschenkel verwandeln sich in behaarte Prinzenbeine. Ist doch witzig, oder sollte es da noch jemand geben, der keinen Humor hat?
Don Martins Comic-Strips sind wie Novellen aufgebaut. Sie fangen ganz harmlos mit einer Alltagsszene an und dann geschieht ein seltsames, unerhörtes Ereignis, das der Handlung die schlimmstmögliche Wendung gibt: Lästige Ehefrauen werden von Automaten erschossen, der Wechselautomat wechselt kein Geld, sondern das Geschlecht desjenigen, der ihn bedient, ein Prinz küsst statt Rapunzel das Hinterteil eines Pferdes, und in diesem Stil geht es ohne Ende und Erbarmen weiter.
Der zweite und heute von mir am meisten bewunderte Meister in Mad ist Antonio Prohias mit seinen Spion-versus-Spion-Strips. Das Strickmuster ist simpel, aber die zigfache Umsetzung grandios: Zwei Spione, weiß und schwarz, in unstillbarer Todfeindschaft gegeneinander verstrickt, hauen sich in immer neuen aberwitzigen Variationen eins über die Rübe. Dieser Krieg hat gar keinen anderen Sinn als die gegenseitige Vernichtung und kommt selbst da noch nicht zur Ruhe. In den ganz frühen Mad-Heften trat auch eine graue Spionin mit Modelmaßen auf, die als lachende Dritte die beiden schwarzweißen Spione verlädt und aufeinander hetzt – zu Evis Entzücken, muss ich jetzt schnell mal petzen.
„Das ist doch realistisch. Wenn eine Frau auftaucht, fallen Männer reihenweise auf sie rein. So könnten wir Frauen einen Beitrag dazu leisten, dass die Welt friedlicher wird.“
Okay, ich mach mal weiter. Mad verstand sich als Satiremagazin und es gab auch politische Töne: Lieber ein Floh im Ohr als eine Wanze im Telefon ist noch einer der harmlosesten Sprüche, die sich gegen Verfassungsschutz, Polizei und Berufsverbote wenden. Aber es gab auch Kulturkritisches, bei dem die schlechte Gegenwart mit einer etwas idealisierten Vergangenheit verglichen wurde. Ein Beispiel. In den Siebzigerjahren hatte die Bundespost eine Anzeigenserie geschaltet, in der sie die Leute dazu animieren wollte, öfter mit ihrem Festanschluss zu telefonieren. Man muss hinzufügen, dass der Festanschluss wörtlich zu verstehen (angekettet an der Telefonbank im Flur) und das Telefonieren sauteuer war. Steve Jobs hatte damals seinen Job noch nicht getan, deshalb sprang Mad in die Bresche und dachte sich ein neues Apparatedesign aus: Zum Beispiel das Quasselfon, ein Spezialapparat mit übergroßer Sprechmuschel für Menschen, die immerzu reden müssen; oder das Egofon, bei dem Mikrofon und Hörmuschel direkt verbunden sind, sodass man sich selbst sprechen hört; oder – Achtung, O-Ton der Siebzigerjahre – das Sexofon, bei dem der Handapparat die Form einer Venus hat, genau das Richtige für, ich zitiere: anonyme Anrufer und Sittenstrolche, die endlich in der Hand spüren können, wovon sie die ganze Zeit reden.
Manchmal bin ich doch froh, dass sich kein anderer für meine Mad-Leidenschaft interessiert. Aber man kann auch sehen, bei diesem herbeigeblödelten Telefondesign steht die Kommunikation gar nicht mehr im Vordergrund, genauso wie beim heutigen Smartphone-Wischen. Da war Mad eindeutig seiner Zeit voraus und hat auf seine kulturpessimistische Art unser heutiges Rumdaddeln mit dem Handy vorausgesehen.
Summa summarum: Die regelmäßige Lektüre von Mad hat mich aufs Vernünftigste und vor allem Lustigste auf das spätere Leben vorbereitet, besser als Schule, Elternhaus und Peergroup zusammen. So bin ich heute jemand, der immer auf das Schlimmstmögliche gefasst ist, der das Schwarzweißdenken ablehnt, sich Kriegsdienstverweigerer in der dritten Instanz nennen darf und der sein Smartphone nur zum Telefonieren nutzt – weil er mit den anderen Funktionen nicht klarkommt. Arme Evi, Eltern, Jugend von heute, die ihr kein vernünftiges Magazin an eurer Seite wissen durftet! Danke Mad!
„Ich danke auch, liebe Mad-Hefte. Durch euch hat Jürgen in seiner Jugend nur Blödsinn gelesen und keinen gemacht. Oder gibt’s da noch etwas, was ich nicht weiß?“
Ihr
Jürgen Block