Keine Orks bei den Geranien

Es begann, wie so vieles in meinem Leben, mit einem harmlosen Blick in den Garten. Genauer gesagt: auf meine kümmerlichen Geranien. Die hatten bei meinem Vater im Keller überwintert, aber nun waren sie wieder da. Tendenziell anklagend standen sie auf dem Fußabtreter, zwischen dreckigen Gummistiefeln, einem leeren, aber nicht sauberen Futternapf und einer dort irgendwie gestrandeten Laterne. Es war eigentlich ein schönes Bild, man hätte vielleicht einen tragischen Roman damit beginnen können, so einen hoffnungslosen? Im Hardcover, mit lobender Kritik in der SZ?

Bevor ich jedoch weiter darüber nachdenken konnte, erschien mein Jüngster. Der ist inzwischen auch schon sechs, was mich zu einer ganzen Reihe tragischer Betrachtungen zum Verstreichen der Zeit und dem Altern hätte inspirieren können, aber auch dafür fehlte mir eben die Zeit, denn natürlich schwieg er nicht, sondern verkündete strahlend: „Erzählst du mir eine Geschichte? Über Wichtel. Und Feen. Und dass sie sich streiten. Und dass dann ein Zauber passiert. “

Diese großen Augen und diese unerschütterliche Überzeugung, dass seine Mutter jederzeit bereit sei für irgendwas mit Magie.

„Und es soll spannend sein!“

Natürlich, dafür bin ich schließlich Autorin.

„Und ein Riese soll auch vorkommen! Riesen sind cool!“

Immer, immer! Wenn es etwas gibt, dass ich liebe, dann sind es Auftragsarbeiten mit ganz genauen Vorgaben.

„Und mindestens so gut, wie die Geschichte mit den Gnomen gestern. Aber trotzdem anders, deine Geschichten sind oft ein bisschen ähnlich. Das ist langweilig.“

Das wurde ja immer besser – ich fühlte mich schon wie beim Lesen einer Amazon-Rezension mit der Überschrift:  Joan Weng wiederholt sich – 2 Sterne!

Aber ich kenne meinen Sohn, der ist hartnäckig, also griff ich nach der roten Bastelschere, die zufällig am Rand des Futterschüssel-Gummistiefel-Laternen Stilllebens lag und begann versuchsweise, die vertrockneten Blütenreste von meinen Geranien zu schneiden und nebenher erzählte ich: „Es war einmal ein kleiner Wichtel namens Fips, der in einem alten Blumentopf wohnte…“ – Schnapp, schnapp der erste Geranientopf war schon fertig. Sah richtig gut aus! Mich packte der Ehrgeiz, gleich die nächste. Und frische Erde könnte ich auch drauf tun. Nebenher fabulierte ich munter weiter: „… und Fips hatte ein Geheimnis, das niemand kannte, nicht einmal die Sonnenfee mit den glitzernden Flügeln …“

„Was für ein Geheimnis?“

„Das erzähl ich dir gleich, wenn du mir schnell an der Tonne die Gießkanne füllst?“

Motivation ist alles. Wie ein Wasser schwappendes Blitzchen war mein Sohn zurück, während ich versuchte, möglichst elegant die matschige Erde von meinen Fingern zu schütteln. (Spoiler: Es gelang mir nicht.)

So ging es den ganzen Nachmittag weiter: Ich buddelte, ich pflanzte, ich fegte sogar den Hof, mein Sohn hörte zu, die Größeren kamen dazu, halfen gnädig auch mit, verschwanden dann wieder – sie stehen längst über Geschichten mit freundlichen Wichteln, wenn nicht wenigstens ein Ork und ein nach Moder und Verzweiflung riechender Kerker vorkommt, gibt es keine 5 Sterne für die mütterliche/ tantliche Erzählung.

Wichtel Fips aber bekam Streit mit der Fee (wegen zu viel Glitzer im Blumentopf), ein geheimnisvoller Samen verwandelte sich in eine singende Blume – und gerade als ich enthüllen wollte, was diese Blumen mit ihrer Zauberstimme sang, da begann es zu regnen. Wir sind dann reingegangen und haben Tee getrunken, unter Zurücklassung eines neuen Stilllebens vor der Tür, einem mit Schäufelchen und Erde. Vielleicht mache ich das ja morgen weg, wenn die Fortsetzung folgt? Vielleicht sogar eine mit Orks – aber das mache ich vom Publikum abhängig.

Joan Weng