Krimihelden: Ein Sonderling und ein Egomanenduo

Ich habe persönlich sehr viele Krimihelden, aber heute möchte ich zwei meiner besonderen Lieblinge fern von Sherlock, Barnaby und Wexford vorstellen.

Der erste ist bestimmt kein Held, der Autor selbst beschreibt ihn mit den Worten: „Der Mann war ein Sonderling, versoffen, häufig ratlos und man lachte ihn gern aus – alles schlechte Eigenschaften für einen Detektiv.“ Aber er ist eben doch einer, der letzte Detektiv nämlich, und so heißt dann auch der erste Band der vierbändigen Serie rund um Dangerous Davies. Davies, den die Londoner Polizei als vollkommen unfähig eingestuft hat, verbringt seine Tage gewöhnlich mit so ehrenvollen Aufgaben wie der Bewachung eines Friedhofes oder Türzu-TürBefragungen. Seine Nächte versäuft er mit seinem besten Freund, dem langzeitarbeitslosen Mod, oder verschläft sie, Wand an Wand mit seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau. Doch Davies hat eine Eigenschaft, die meiner Meinung nach beispielsweise Sherlock Holmes vollkommen abgeht: Mitgefühl. Er kann kein Leid sehen, ohne einzugreifen, und wenn er deshalb im Krankenhaus auch schon ein Stammbett hat, er macht doch weiter. Grundsätzlich ermittelt er in Fällen, die sonst niemanden interessieren: ein ertrunkener Obdachloser, ein vor Jahrzehnten verschwundener Ehemann, ein totes Kind in einer Sozialsiedlung. Dabei sind die Leslie-Thomas-Romane trotz des deprimierenden Milieus niemals von der bedrückenden Stimmung eines Mankell, vielmehr sind sie voller grotesker Komik und großer sprachlicher Schönheit. Dazu kommt, dass die Verbrechen selbst sehr gut konstruiert und extrem fein gebaut sind; die Aufklärungen überraschen und überzeugen gleichermaßen.

Mein zweiter Krimiheld ist im Grunde das genaue Gegenteil zum liebenswürdigen Underdog Dangerous Davies. Als Pariser Sureté-Chef und Untersuchungsrichter ist Henri Bencolin sehr erfolgreich und privat derart vom guten Leben übersättigt, dass er seine Fälle aus rein intellektuellem Interesse löst. Optisch gleicht er mit seinen zu Hörnern pomadisierten Haaren und der hageren Gestalt dem Teufel, und mit diesem hat er (vermutlich) auch die vollkommene Gefühlskälte gemein. Einmal heißt es über ihn, er hätte Jesus ohne Zögern gekreuzigt und sich noch an der perfekten Platzierung der Nägel erfreut. Sein Gegenspieler Baron von Arnheim, Preuße durch und durch, vom Schmiss bis zum gern mal kalt funkelnden Monokel, ist allerdings mindestens genauso unsympathisch, und so beobachtet man als Leser mit Interesse, welcher der beiden Egomanen am Ende das Geheimnis der Burg Schädel löst*. Der besondere Reiz dabei ist nicht das angenehm gruselige Verbrechen, sonder viel mehr der literarische Kniff des Autors, Tatmotiv und die Täter-Opfer-Konstellation in den beiden konkurrierenden Ermittlern zu spiegeln. Der Autor John Dickson Carr selbst hatte seinen Ermittler jedoch rasch satt und erfand nach vier Bänden stattdessen den gemütlichen Dr. Fell. Aber auch wenn Dr. Fell ein netter Zeitgenosse ist und in einer ganzen Reihe von spektakulären Morden zeigen darf, was er kann, hat mich persönlich Bencolin immer mehr überzeugt – auch weil er am Ende eben doch nicht so gefühlskalt ist, wie es den Anschein hatte.

Ihre Joan Weng

*Es gibt insgesamt vier Fälle mit Bencollin, lesensewert ist meiner Meinung nach nur noch „Die Schädelburg“

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