Kristin liest: Kristín Marja Baldursdóttir, Das Echo dieser Tage

Der Inhalt in Kürze: Das Echo dieser Tage ist eine Geschichte darüber, was an dunklen Wintertagen in isländischen Küchen von isländischen Frauen so alles ausgeheckt wird.

Bei der Hauptfigur weiß ich ‒ wie so oft bei Baldursdóttir ‒ nicht, ob ich sie in den Arm nehmen oder dauerschütteln soll. Flóra, ein bisschen ältlich, ein bisschen bieder, ist von ihrer Firma gefeuert worden. Sie hat Grund zur Vermutung, dass dies wegen Ältlichkeit und Biederkeit geschehen ist und suhlt sich nun auf dem schlammigen Boden ihres zerstörten Selbstwertgefühls. Sowieso wähnt sie sich dazu verdammt, alles im Leben zu verkorksen. Ihre Ehe, ihr Sozialleben, ihre Freizeitgestaltung. Auch beim ersten zaghaften Flirtversuch mit einem neuen Mann ist ihr etwas ganz Furchtbares passiert. Ach Gott, denkt man beim Lesen; das haben vermutlich neun von zehn Frauen schon erlebt.

Das einzige (von der mitleidigen Verwandtschaft arrangierte) Jobangebot nach Monaten ist, ein Haus irgendwo im Nirgendwo anzustreichen. Alternativlos wie sie ist, vermietet Flóra ihre Wohnung in Reykjavik und zieht für den Winter in das kleine Dorf in den Westfjorden.

Das weitere Personal des Romans ist: eine ebenso ambitionierte wie frustrierte Provinzkomponistin, eine Handvoll musizierender Männer, einer davon eine echte Arschgeige, und drei Arbeiterinnen der ortsansässigen Fischfabrik, die angeblich recht ordentliche Stimmen haben, jedenfalls sollen sie jüngst beim Fischeausnehmen ganz nett vor sich hin geträllert haben.

Die Roman- oder Filmidee, dass ein zunächst mickriger Chor gegründet wird und aus diesem Fast-Nichts Lebensträume entstehen und ihre Kraft entfalten, ist an sich nicht neu. Die eigenwillige, manchmal drollige Stimme jedoch, die Baldursdóttir all ihren Frauenfiguren verleiht, macht etwas ganz Eigenes aus der Geschichte. Wenn der unglücklichen Flóra zum Beispiel mal wieder alles zu viel wird, geht sie früh ins Bett und liest zum Trost in ihrem Lieblingsbuch „über die arktische Witterung und das Klima der verschiedenen Kontinente“. Und wenn sie über das Kind einer anderen Frau den Satz sagt: „Es ist so süß, kleinen Kindern beim Essen zuzusehen“, dann liegt in diesen banalen Worten die ganze Traurigkeit einer Mutter von erwachsenen und irgendwo in der Welt verstreut lebenden Kindern, ihre Sehnsucht nach den Jahren, als die Kinder klein waren.

Das Echo dieser Tage war eins der Bücher, bei denen ich mich den ganzen Tag aufs abendliche Weiterlesen gefreut habe. Er hat mir Spaß gemacht: Floras Weg von dieser desolaten Person hin zu einer, die … ab jetzt würde ich anfangen, zu viel zu verraten. Ich wäre übrigens nicht darauf gekommen, dass das Buch von der gleichen Autorin ist wie die (ebenfalls sehr gerne gelesene) Eismalerin. Hinter fremden Türen, Möwengelächter ‒ Baldursdóttirs Romane sind auf sehr verschiedene Weise klasse.

Eine Sache hat mich allerdings gestört. Zwar beschreibt Baldursdóttir die Musik ganz wunderbar, die hier nach und nach aufblüht: zuerst nur ein Akkordeon, dann setzt das Schlagzeug ein, darüber erheben sich die Frauenstimmen … Das muss eine besondere Mischung ergeben, aber leider habe ich sowas beim Lesen nicht im Ohr und würde mir allein deswegen wünschen, dass dieses Buch verfilmt wird.

Ihre Kristin Lange

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