Lassen Sie niemals ein Buch unbeaufsichtigt – Sie wissen nicht, was Sie womöglich anrichten

Mein Blogkollege und lieber Freund Horst-Dieter wandte sich gestern an mich – in offensichtlich verführerischer Absicht und wohl wissend um meine Schwächen. Mit scheinheiliger Freundlichkeit fragte er: „Hast du schon mal einen Gespensterkrimi gelesen?“ Und noch ehe ich antworten konnte, schickte er mir den Link – zu einem Ort, an dem ich eine beunruhigend große Auswahl solcher Hefte erwerben könnte.

Nun muss man wissen: Ich kann klassischen Krimis im Allgemeinen und Gruselgeschichten im Besonderen kaum widerstehen – beiden bin ich hilflos ausgeliefert. Und schuld daran ist, ja, genau diese Serie. Denn mit ihr begann meine Leidenschaft. Es ist eine Suchtgeschichte wie aus dem Lehrbuch. Das erste Heft bekam ich geschenkt – von einem Fremden, im Zug nach Salzburg. Ich war auf dem Weg an den Attersee, um dort ein paar Wochen meiner Sommerferien zu verbringen.

Meine Tante betrieb dort etwas, das sich in typisch österreichischer Bescheidenheit „Yachtclub“ nannte – in Wahrheit war es ein Biergarten für Segler. Meine Großmutter betreute von April bis Oktober die Kinder, und in den Sommerferien kam meist noch eine Schar weiterer Cousins und Cousinen hinzu, alle, die eben gerade anderweitig nicht untergebracht waren.

Es waren herrliche Wochen, Jahr für Jahr – aber am liebsten denke ich doch an jenen Sommer zurück, in dem ich meine Lidenschaft für Gruseliges entdeckte.

Wie gesagt: Ein Fremder im Zug ließ beim Aussteigen sein Heft liegen. Wenn er wüsste, was er da tat! . Mich aber zog das geschmacklose Cover mit geradezu diabolischer Kraft an. Ich erinnere mich nicht mehr an den Titel, aber vorn prangte ein Totenschädel mit gekreuzten Säbeln – es ging natürlich um Geisterpiraten, lang lang vor Fluch der Karibik, aber auch schon damals nicht wirklich originell. Ich jedoch begann zu lesen – und war verloren.

 Der Schreibstil war lausig, schlimmer noch als bei Stephen King, doch die Handlung! So etwas hatte ich noch nie gelesen. Mörderische Kraken, untote Skelette, Geisterpiraten. Zum Glück war Salzburg Endbahnhof – vertieft, wie ich war, hätte ich glatt bis Budapest weiterfahren können.

Natürlich teilte ich meine Begeisterung sofort mit meiner gleichaltrigen Cousine. Wobei wir rasch feststellten, dass man an jedem Kiosk für ein paar Schilling Nachschub bekam. So verbrachten wir diesen Sommer beinahe vollständig in Gesellschaft von Vampiren, Zombies und den Geistern der sieben Weltmeere.
Ich sehe es bis heute, wie sich das billige Papier in der Sommerhitze wellte. Und wenn ich nachdenke, dann spüre ich es wieder – den Geschmack warmen Himbeersirups auf der Zunge und dieses zauberische Frösteln in der Sommerhitze, wenn eine Knochenhand sich kalt um schöner Damen Hälse klammert.

Eines weiß ich auch noch genau: den letzten Satz jenes ersten Hefts: „Dort, auf einer einsamen Steininsel, sitzt er nun – der Tod – und lauert hungrig auf neue Opfer, sie ins Verderben zu locken.“

Mein eigenes gruselgeschichtliches Verderben war da längst besiegelt.

Und so endet dieser Beitrag mit einer eindringlichen Warnung:

Lassen Sie niemals ein Buch unbeaufsichtigt. Sie wissen nicht, wer es  findet!

Ihre Joan Weng