Lesen im Regen (Hieß ursprünglich: Lesen im Grünen)

Als Cordula Broicher vor einigen Monaten die Idee hatte, eine Lesung der 42er auf der Landesgartenschau in Zülpich zu veranstalten, hatte wahrscheinlich nicht nur ich ein idyllisches Bild vor Augen: Sommer, blauer Himmel, bunte Blumenbeete und gut gelauntes Publikum. Jedenfalls beschlossen immerhin elf 42er, sich an einem Samstagnachmittag im August zu treffen und zu lesen.

Wie das in solchen Fällen ist, gab es Programmänderungen und schließlich machten sich acht 42er auf den Weg. Es blieb nicht die einzige Korrektur an dem Bild, das im Winter vor meinen Augen entstanden war. Sie haben diesen August ja auch erlebt, der mit Sommer leider nicht viel zu tun hat. Schon Tage vor der Lesung beobachtete ich kritisch die Wettervorhersage, die für Samstag den schlechtesten Tag der Woche ankündigte. Aber Wettervorhersagen sind ja so zuverlässig wie Wirtschaftsprognosen und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Samstagvormittag schien in Köln sogar noch die Sonne. Doch je näher Zülpich kam, desto grauer wurde der Himmel. Immerhin war das noch dieses Hellgrau, das die Sonne zwar verdeckt, noch nicht zwangsläufig Regen beschert. Wie gesagt, die Hoffnung …

Zuerst besuchte ich – noch im Trockenen – die Landesgartenschau am Zülpicher See. In aller Ruhe schlenderte ich durch die verschiedenen Gärten und betrachtete die Blumen, ehe ich gegen halb vier am Infostand nach der Landesbühne fragte – dort nämlich sollte unsere Lesung stattfinden. Als ich erfuhr, dass die Bühne gar nicht am See steht, sondern etwa fünf Kilometer entfernt in der Stadt an den Römerthermen, war es mit der Idylle vorbei: Ich würde zu spät kommen und außerdem wechselte der Himmel gerade seine Farbe von hell- zu dunkelgrau. Bei meiner Suche nach einer Bushaltestelle konnte ich auf dem Parkplatz glücklicherweise Ulli und Claudia einsammeln, die ebenfalls gerade auf dem falschen Weg waren. Hätten wir doch alle nur vorher mal die Wegbeschreibung genau gelesen. Gemeinsam schafften wir es, pünktlich um 16 Uhr an der Bühne zu sein. Die Regenwolken und Sturmböen allerdings leider auch.

Zum Glück war die Bühne überdacht. Die Zuschauerreihen davor allerdings nicht; vor allem aber waren sie fast leer, was bei einem Blick in den Himmel nicht überraschte. Als die ersten Regentropfen fielen, ließ sich der Veranstalter erweichen und gestattete, dass wir uns gemeinsam mit den Zuschauern und der Buchhändlerin unter dem Dach der Bühne versammelten.

Ehrlich gesagt war ich froh darüber, denn allein auf einer Bühne, auf der sonst Männerchöre Platz haben, hätte ich vermutlich vor Nervosität kein Wort herausgebracht.

Zehn Minuten nach vier war es soweit: Alle Anwesenden saßen im Trockenen, das Mikrofon – unbedingt nötig, um gegen den Sturm anzukommen – war getestet und die angemeldeten 42er fast vollzählig. Joan Weng hat ja kürzlich gestanden, dass sie häufiger zu spät kommt und ließ sich diese Gelegenheit nicht entgehen – ein Stau war schuld, ließ sie telefonisch verlauten.

Wir, die wir (halbwegs) pünktlich waren, fingen einfach schon mal an.

Cordula Broicher las aus ihrem Roman „Feuerprobe“, in dem eine Automechatronikerin mit den Widrigkeiten des Lebens konfrontiert wird, insbesondere in Form eines jungen Mannes. Wenn ihre Heldin Carolina so cool ist, wie Cordula Regen und Sturm ignorierte, kann es eigentlich nur ein Happy End für sie geben.

Es folgte Cordula Hamann mit einem Auszug aus ihrem Thriller „Glasgesichter“. Ob das Frösteln, mit dem wir während ihrer Lesung zu kämpfen hatten, hauptsächlich auf die Wetterbedingungen oder eher auf das Gehörte zurückzuführen war, kann ich nicht sagen. Nur, dass definitiv gefröstelt wurde. Und es gab diese Blicke, die man bei Lesern von Thrillern oft sehen kann und die sagen: „Ich kann es eigentlich nicht aushalten, aber ich muss wissen, wie es ausgeht.“ Das verriet Cordula natürlich nicht und leider müssen wir uns alle noch in Geduld üben, denn der Thriller erscheint erst Ende September.

Stefanie Jerz las anschließend herzerwärmende Gedichte. Dass hier und da trotzdem gefroren wurde, war weder Stefanies Schuld noch die der Gedichte; der Himmel gefiel sich weiterhin in Grau und mit Regen und Sturm. Aber die Gedichte zauberten hier und da ein Lächeln in das Gesicht der Zuhörer. Und das wurde noch verstärkt, als mit Joan auch die letzte der gemeldeten 42er auftauchte, nebst Ehemann und Freunden. Die Zuschauerreihen waren jetzt gut gefüllt.

Ein Schal sollte bei der anschließenden Lesung von Claudia Kociucki das Lesepult dekorieren, denn es stammt aus Portugal, der Gegend, in der die Geschichte spielte. Aus aktuellem Anlass musste die Dekoration jedoch wegfallen, denn das Tuch war an Claudias Hals eindeutig nützlicher. Während sie las, gesellten sich zwei weitere Zuhörer zu uns und zogen erst einmal ihre Regencapes aus, denn es schüttete noch immer.

Ulrike Renk entführte uns anschließend zum großen Brand in Hamburg 1842 – zu dieser Zeit beginnt nämlich die Geschichte der Emilia Lessing, Hauptfigur des Romans „Die Australierin“. Wenigstens die Sturmböen wurden allmählich schwächer.

Jetzt war ich dran. Ich hatte eine Geschichte ganz frisch aus meiner Werkstatt mitgebracht – ein erstes Puzzleteil für den Roman, den ich als nächstes schreiben will. Und weil auch die Kollegen den Text noch nicht kannten, freute ich mich hinterher über das eine oder andere zustimmende Nicken.

Joan las uns dann eine Geschichte vor, die im letzten Jahr unter die besten sechs des Putlitzer Preises gekommen war, eine Geschichte aus einem kleinen Ort irgendwo in der europäischen Provinz. Einem Ort, an dem es wahrscheinlich an diesem Tag auch geregnet hat, was irgendwie tröstlich war. Inzwischen plätscherte es bei uns nur noch ganz dezent vor sich hin.

Den einzigen männlichen 42er hatten wir für unsere Zuschauerinnen bis zum Schluss aufgehoben – jetzt durfte Horst-Dieter Radke ans Mikrofon. Er hatte ein paar Märchen mitgebracht, zum Beispiel ein modernes Schneewittchen. Weil es so schön war, wollten die Zuschauer eine Zugabe. Und das war die Geschichte von Bambi. Bambi möchte sich nicht mehr vegetarisch ernähren. Wie das ausgeht, verrate ich Ihnen natürlich nicht, denn dann wäre ja der Spaß weg, wenn Sie bei unserer nächsten Lesung dabei sind.

Als alles vorbei war, hatte auch der Himmel ein Einsehen, stoppte den Regen und ließ hier und da wieder einen kleinen, hellblauen Streifen sehen.

So kamen wir trocken zu Cordula Broicher, die für uns ein leckeres und reichhaltiges Abendessen vorbereitet hatte. Ulli steuerte – wie immer köstliche – Pralinen zu unserem Treffen bei und wir saßen noch lange zusammen, diskutierten die Texte und sonstige Autorenbelange. So ein Autorendasein ohne Kollegen ist doch auch ziemlich einsam und es tut gut, sich hin und wieder zu sehen und gemeinsam zu lesen, zu essen und zu trinken. Dabei macht uns ein bisschen Regen überhaupt nichts aus.

Vielleicht kommen Sie ja beim nächsten Mal vorbei – jetzt, wo sie wissen, dass wir unsere Gäste auch bei widrigen Umständen nicht im Regen stehenlassen. Ich freu mich drauf.

Ihre Dorrit Bartel

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