Lieblingsliebesromane

Ich fürchte, ich habe da grundlegend etwas falsch verstanden, denn dies wird kein Text über männliche Helden, in die ich mich hoffnungslos verliebt habe und von denen ich hoffe, dass sie mir im wahren Leben über den Weg laufen. Ich habe beim Thema Lieblingsliebesromane an Frauen gedacht. Und an Bücher, die nicht im herkömmlichen Sinne Liebesromane sind.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen – ich liebe Männer und ich habe Sex mit Männern, aber die Liebenden, die mich beeindruckt haben, sind Frauen. Es sei mir der kleine Schlenker in die Welt der Oper gestattet: wer interessiert sich schon für Alfredo Germont, wenn Violetta Valéry im Sterben liegt. Mal ehrlich …

Und so geht es mir mit der namenlosen Frau aus Ingeborg Bachmanns „Malina“ und selbst in Elisabeth Georges Krimireihe um Inspektor Lynley fand ich seine Frau Helen, die Nebenfigur, interessanter als ihn. Folgerichtig habe ich noch keinen Band gelesen, der nach dem Tod Helens spielt. Vielleicht hole ich das irgendwann nach, aber ohne Helen ist das schon traurig. Aber meine absolute Lieblingsfigur ist „Franziska Linkerhand“, die Titelheldin des Romans von Brigitte Reimann. Als ich „Franziska Linkerhand“ vor etwa eineinhalb Jahren wieder las, zum fünften oder sechsten Mal in meinem Leben, fürchtete ich, dass der Zauber dieses Buches nun wahrscheinlich verflogen sei. Weil das Buch vor über vierzig Jahren geschrieben wurde, weil die Geschichte in einem Land spielt, das es nicht mehr gibt, weil ich mich verändert habe. Aber dann musste ich nur den ersten Absatz lesen und war sofort wieder gefangen.

„Ach Ben, Ben, wo bis du vor einem Jahr gewesen, wo vor drei Jahren. Welche Straßen bist du gegangen, in welchen Flüssen hast Du gebadet, mit welchen Frauen geschlafen? Wiederholst du nur eine geübte Geste, wenn Du mein Ohr küsst oder die Armbeuge? Ich bin verrückt vor Eifersucht … Die Gegenwart macht mir nicht angst … aber deine Erinnerungen, gegen die ich mich nicht wehren kann, die Bilder in deinem Kopf, die ich nicht sehen kann, ein Schmerz, den ich nicht geteilt habe … Ich möchte mein Leben verdreifachen, um nachzuholen, die lange Zeit, die es dich nicht gab.“

Franziska ist Architektin in der DDR der sechziger Jahre und baut mit an irgendeiner Neustadt in der Provinz. Ben ist ein intellektueller LKW-Fahrer, zur Bewährung in die Provinz versetzt. Die Liebesgeschichte bildet den Rahmen für sechshundert Seiten voller Leben: Franziska entwirft Häuser, kämpft für ein Kino in der Stadt, deren Tristesse sie sich bewusst ist. Sie, die Intellektuelle, pflegt eine Art von Freundschaft mit den Leuten, mit denen sie in einem Haus wohnt, einfache Arbeiterinnen, die sie nicht wirklich versteht, aber mit denen sie dennoch Zeit verbringt. Franziska streitet sich mit ihrem Chef, der die Planvorgaben verteidigt und selbst in einem Einfamilienhaus vor der Stadt lebt. Manchmal fährt Franziska auf die Baustelle und betritt die eben fertig gebaute Straße wie ein neues Land. Und zwischendurch trifft sie immer wieder Ben, den sie liebt, ohne ihr ganzes Leben auf ihn einzurichten.

Wir wissen nicht, wie die Geschichte zwischen Ben und Franziska ausgeht – Brigitte Reimann starb an Krebs, bevor sie das Buch zu Ende schreiben konnte. Und auch diesmal wieder war ich traurig, als ich an das Ende des Buches kam, weil es keinen wirklichen Schluss hat. Den braucht es zwar nicht, aber dennoch hätte ich gern gewusst, wie es weiterging mit Ben, Franziska und ihrem Leben.

Franziska ist für mich der Inbegriff von Unabhängigkeit und der Beweis dafür, dass Liebe und Unabhängigkeit einander nicht ausschließen müssen. Diese Frage hat mich schon immer mehr interessiert als die, wie Mr Perfect beschaffen sein muss. Aber wie gesagt, ich halte es durchaus für möglich, dass ich da etwas grundlegend falsch verstanden habe.

Nachdenkliche Grüße

Ihre Dorrit Bartel

Zitiert aus: Brigitte Reimann „Franziska Linkerhand“, Aufbau Verlag, 1998

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